Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 25. April 2000

Gegen ein zentralisiertes Gedenken

Berlin will die Verantwortung für die Vergangenheit an den Bund abschieben - eine fatale Idee

Von Alice Ströver

Alice Ströver ist kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin

Ob der Bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber auf die Idee käme, dem Bund die alleinige Finanzierung der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau anzutragen? Es ist immerhin zu vermuten, dass er sich als Landesherr des Freistaates Bayern weiter zu seiner Verantwortung für den Erhalt der Gedenkstätte bekennen würde.

In Berlin ist das anders. Ohne die Folgen bis zu Ende zu denken, wird die finanzielle Krise des Landes benutzt, um die Zuständigkeiten des Landes für die Kultur in Frage zu stellen. Der Ruf nach mehr Bundesförderung für Berlin wird als Legitimation für eine Art Schlussstrich-Debatte unter die Frage der verfassungsmäßigen Zuständigkeit von Kultur- und Bildungsfragen durch die Länder geführt. Damit wird leichtfertig die Aufgabe des Föderalismusprinzips für Berlin als Hauptstadt gerechtfertigt.

Ganz oben auf der Liste der Einrichtungen, die der Bund übernehmen soll, stehen die Berliner Gedenkstätten der Nazizeit: das Haus der Wannseekonferenz, die Gedenkstätte Plötzensee, die Topographie des Terrors oder das Kapitulationsmuseum Karlshorst. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen erklärte, der Bund müsse als Nachfolger des Deutschen Reiches die alleinige Verantwortung für diese NS-Gedenkstätten übernehmen. Kultursenator Christoph Stölzl blies ins gleiche Horn und erklärte Berlin nicht den Berlinern gehörend, womit er zugleich die Verantwortung der anderen Länder und des Bundes für das kulturelle Erbe anmahnte. Mit ihm argumentierten insbesondere die Parlamentsfraktionen von CDU und PDS.

Unklar blieb bisher, ob der Vorschlag, der Bund solle Gedenkstätten tragen, auch bedeuten würde, dass Berlin nicht mehr zuständig sein soll für die Pflege des Gedenkens an die deutsche Teilung und damit zum Beispiel die Gedenkstätte Berliner Mauer oder das Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen als Teil der SED-Diktatur nunmehr auch in die Bundesverantwortung übergehen solle.

Selbstverständlich hat der Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland eine Verantwortung sowohl für die NS-Terrorherrschaft als auch für die Hinterlassenschaft der DDR. Aber so wenig man behaupten kann, die Erinnerung an die Berliner Mauer wäre Bundesangelegenheit und habe nichts mit der Stadt Berlin zu tun, so wenig wäre es gerechtfertigt, die Verantwortung für die NS-Gedenkstätten an den Bund abzuschieben.

Viele Erinnerungsprojekte in der ganzen Bundesrepublik sind aus bürgerschaftlichem Engagement entstanden. Es waren Bürgerinitiativen und Überlebende, die sich in den 80er Jahren an die Erforschung der authentischen Orte des Nationalsozialismus gemacht haben und ohne die es viele Projekte niemals geben würde. Sie sind heute sehr heterogen in den Trägerschaften mit unterschiedlichen wissenschaftlichen oder musealen Aufgaben, sind lokal oder überregional konzipiert, arbeiten teils mit ehrenamtlichem, teils mit professionellem Personal.

Ein derartiges Projekt ist das der Berliner Topographie des Terrors. Es war Einzelpersonen und schließlich einer Bürgerinitiative zu verdanken, dass Ende der 70er Jahre das Gelände an der Westberliner Peripherie, direkt an der Mauer gelegen, in seiner historischen Bedeutung erkannt wurde. Dort befanden sich die Gestapozentrale und die SS. Hier standen die Schreibtische von Himmler und Heydrich. Zwischen 1949 und 1956 wurden die kriegsbeschädigten Gebäude zerstört. In den 70er Jahren war das Gelände ein Tummelplatz für Fahrschüler in „Harrys Autodrom". Nur durch Intervention der Initiative gelang es, gegenüber dem Senat von Berlin eine provisorische Ausstellung anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins 1987 auf dem Gelände durchzusetzen. Später wurden die Folterkeller der Gestapo freigelegt und das Gelände zu Besichtigung zugelassen.

Derzeit wird in Berlin heftig darum gerungen, ob die nötigen Finanzmittel bereit stehen, um das ambitionierte Bauprojekt des Schweizer Architekten Peter Zumthor, das ein Gebäude für eine Dauerausstellung und ebenso Platz für Forschungsarbeit vorsieht, realisieren zu können. Dass dieses Gelände wieder ins öffentliche Erinnerungsbewusstsein gerückt ist, ist nur Personen wie dem Leiter der Berliner Festspiele GmbH, Ulrich Eckhardt, zu verdanken.

Das Abschieben auf die zentralstaatliche Ebene wäre eine Abkehr von diesem Konzept der Bürgernähe und setzt ein falsches Signal: Was aus undemokratischen, zentralstaatlichen Strukturen entsprungen ist, sollte prinzipiell in einer geteilten Verantwortungsstruktur bleiben. Die unterschiedlichen Trägerschaften sind auch Garant für eine politische Unabhängigkeit und verhindern durch ihre Struktur die Weisungsabhängigkeit der Verantwortlichen vom alleinigen Träger.

Berlin als Hauptstadt darf sich nicht der Nachlasspflege der in der Stadt befindlichen Tatorte und Orte des Leidens entledigen, sonst beraubt sich die Stadt selbst ihrer Vergangenheit.

Der Bund selbst hat sich zu einer klaren Mitverantwortung für die Gedenkstätten bekannt. Hieraus lässt sich möglicherweise ableiten, dass der Bund und alle Länder gemeinsam unter einem Dach die Trägerschaft für die Gedenkstätten von überregionaler Bedeutung übernehmen. Das kann sich allerdings nicht auf Berlin beschränken und sollte dann ein Projekt aller Bundesländer und des Bundes werden und auch die gemeinsame finanzielle Verantwortung beinhalten. Ein Abschieben auf den Bund würde in vielen Fällen das immer noch vorhandene besondere Engagement der Bürger zerstören.


Bildunterschrift:

Hohenschönhausen, Wannsee-Villa, Topographie des Terrors und Plötzensee - Diepgen würde diese Gedenkstätten gerne dem Bund übergeben.