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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
review by Ludwig Eiber, March 2002
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Harold Marcuse, Legacies of Dachau. The Uses and Abuses of a Concentration Camp, 1933-2001, Cambridge University Press, Cambridge 2001, 590 S., kart., 27,95 £.

Harold Marcuse, Associate Professor an der University of California in Santa Barbara, legt hier ein umfangreiches Werk vor, das auf seiner an der University of Michigan 1992 eingereichten Dissertation "Nazi crimes and identity in West Germany: Collective Memories of the Dachau Concentration Camp 1945-1990" basiert. Sie ist vollständig überarbeitet und wesentlich erweitert worden. Marcuse setzt sich in seinem Buch nicht nur mit dem Konzentrationslager und der Nachkriegsgeschichte der Stadt Dachau auseinander. "Dachau" so zeigt er, steht für das Nachkriegs-Deutschland und seinen Umgang mit einem spezifischen Erbe des NS-Regimes, den Konzentrationslagern. Exemplizifiert am Umgang mit den "survivors" (Marcuse distanziert sich vom deutschen Sprachgebrauch "Opfer"), mit dem historischen Ort und mit den Tätern.

Er beginnt mit einem kurzen Überblick über "Dachau": die Geschichte der Stadt Dachau bis 1945, das Konzentrationslager Dachau und "Dachau" als ein Symbol des Völkermordes. Das folgende Kapitel umfasst die zehn Nachkriegsjahre 1945-55 und stellt drei Mythen und ihre Umkehrung ins Zentrum. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit Dachau 1955-1970, den verschiedenen Gruppen der Überlebenden, ihren Erinnerungen, ihrer Form des Gedenkens, der Errichtung der ersten religiösen Andachtsbauten sowie mit der Entstehung und dem Ausbau der Gedenkstätte. Im Schlusskapitel befasst sich Marcuse mit der Auseinandersetzung neuer Generationen mit den überkommenen Mythen bis hin zu den aktuellen Plänen für die Neugestaltung der Gedenkstätte.

Zu den eindrucksvollsten Abschnitten gehören seine Herausarbeitung und Beschreibung der drei wichtigsten Antworten der deutschen Nachkriegsgesellschaft auf die Verbrechen, die durch den Begriff "Dachau" symbolisiert werden - den drei Mythen "Victimization, Ignorance and Resistance" (S.74). Die ersten zehn Nachkriegsjahre bestimmten: "The myth that the German people had been victimized by the Nazis’, the myth that most Germans had been ignorant of the crimes their neighbors, friends, and relatives were committing, and the myth that most Germans had been upright citizens who resisted Nazism as much as possible without taking inordinate risks" (S. 12). Diese Umdeutung der eigenen Vergangenheit hat weitere Umkehrungen zur Folge: Aus NS-Tätern werden ",good‘ Nazis", die zu "brown –collared ‚victims‘", zu "Opfern" der alliierten Säuberungsmaßnahmen und Gerichtsbarkeit werden. Aus den Überlebenden werden ",bad‘ inmates", die nicht ganz zu Unrecht inhaftiert waren. Die Konzentrationslager, die Stätten des Terrors, werden in ",clean‘ camps" verwandelt, in denen die Zeugnisse der Verbrechen beseitigt oder zumindest isoliert werden (Krematorium in Dachau). So wird z.B. dem Dachauer Schutzhaftlager, dem Kern des ehemaligen Konzentrationslagers, eine neue Identität gegeben. Zunächst nach 1945 als Internierungslager, dann als Flüchtlingslager genutzt, wird es ab 1948 im öffentlichen Sprachgebrauch zum "ehemaligen Internierungslager" (S. 162).

Marcuse zeigt an Verweisen besonders auf die Nachkriegsgeschichte des KZ Neuengamme bei Hamburg, dass diese Umdeutung und die anderen Verhaltensweisen keine bayerische Besonderheit, sondern charakteristische westdeutsche bzw. bundesdeutsche Verhaltensweisen waren. Hierzu gehörten die Vernachlässigung der Grabstätten der KZ-Opfer, die Widerstände gegen die Bemühungen der Überlebenden um eine würdige Gestaltung der KZ-Gräber und die Errichtung von Gedenkstätten und Mahnmalen sowie schließlich die Marginalisierung und Ausgrenzung der zahlenmäßig größten Organisationen der Überlebenden als "kommunistisch" (VVN) oder die Diffamierung der jüdischen DPs als "Schwarzhändler".

Der Wandel ab Mitte der 50er-Jahre, den Marcuse detailliert nachzeichnet ist es, der eine Veränderung des öffentlichen Klimas herbeiführt und das Streben des neugegründeten Comité International de Dachau (CID) zu einer Gedenkstätte 1960, einem Museum 1965 und zur Anerkennung als legitimierte Vertreter der Überlebenden zum Erfolg werden lässt. Gedenkfeiern durch Gewerkschaftsjugend (ab 1953) in Dachau (1953 5000 Teilnehmer!), die überraschend erfolgreiche Taschenbuchausgabe des Tagebuchs von Anne Frank (1955), Resnais‘ Film "Nacht und Nebel" (1957), der Ulmer Einsatzgruppenprozess (1958) und andere Prozesse (Eichmann-Prozess 1961, Auschwitz-Prozess ab 1963), markierten den Weg zu einer kritischen Beschäftigung mit den NS-Vergangenheit und ihrem Erbe, die Wendung hin zu einer Anerkennung der ehemaligen Häftlinge und ihres Anliegens, ohne dass deshalb alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt gewesen wären. Der Bau der ersten religiösen Gedächtnisstätten (katholische Kapelle 1960, katholisches Kloster 1964) auf dem Gelände des ehemaligen Schutzhaftlagers erfolgte noch vor der Errichtung der von der internationalen Lagergemeinschaft CID seit deren Gründung 1955 geforderten Gedenkstätte. Die mangelnde Bereitschaft des Freistaates Bayern, großzügig Mittel für die Erhaltung der Gebäude des früheren Schutzhaftlagers bereitzustellen, führten in Dachau zu einem Konzept, das gegen die Absichten der Überlebenden die Errichtung einer Gedenkstätte (1965) mit dem weit gehenden Abriss der noch vorhandenen Relikte (Baracken und Funktionsgebäude) verknüpfte. Erst 1967 folgte die Errichtung eines jüdischen Mahnmals und der evangelischen Versöhnungskirche. Marcuse verweist auf das Beispiel Buchenwald und zeigt, dass die neue Sinnstiftung auch in Dachau die Zerstörung der historischen Relikte voraussetzt.

Seit den 1970er-Jahren wurde den nachwachsenden Generationen immer mehr von der Wirklichkeit der NS-Vergangenheit eröffnet, was sich in zunehmenden Interesse dafür und in steigenden Besucherzahlen der Gedenkstätte niederschlug. Die Stadt Dachau und die meisten ihrer Bürger empfanden sich zunächst aber als Opfer des Interesses der Öffentlichkeit und der Medien für die Gedenkstätte. Weiter wurde durch Abreißen historischer Gebäude (Kommandantenvilla, Torgebäude des SS-Lagers, Lagerwerkstätten) an der Verwirklichung des ",clean‘ camps" gearbeitet. In den 1980er- und 1990er-Jahren setzten jüngere Generationen auf einen neuen Umgang mit dieser Vergangenheit, den Marcuse als "from reflex to reflection" kennzeichnet. Dass dieser Prozess nicht ohne Gegenwehr ablief und die Bildung neuer Mythen nicht ausschloss, zeigt Marcuse am seit 1996 laufenden Projekt der Neugestaltung der Gedenkstätte.

Der Verfasser verfügt über fundierte Kenntnisse, die Ergebnisse sind sorgfältig recherchiert. Das Buch ist das Standardwerk zur Nachkriegsgeschichte "Dachaus" (die untrennbare Verbindung von Konzentrationslager, KZ-Gedenkstätte und Stadt Dachau) und es zeigt beispielhaft den Umgang mit den Stätten der ehemaligen Konzentrationslager, den Überlebenden und den Angehörigen der Lager-SS in der Bundesrepublik. Es ist zu hoffen, dass das Buch bald in deutscher Übersetzung erscheint. Dazu wäre zu wünschen, dass auf einige der wenigen Defizite eingegangen wird. So bleibt ausgeblendet, ob diese Auseinandersetzungen um den Umgang mit "Dachau" auch die US-Army tangierten. Sie nutzte bis Anfang der 1970er-Jahre das SS-Lager als Kaserne sowie vom ehemaligen Schutzhaftlager den Bereich des "Jourhauses" (SS-Dienstgebäude und Torgebäude zum Häftlingslager), den Westflügel des Wirtschaftsgebäudes und das Arrestgebäude (der "Bunker", eine der zentralen Stätten des Terrors im Lager) als Militärgefängnis. Auch eine ausführliche Behandlung des Vertrages des CID mit dem Freistaat Bayern aus dem Jahr 1965 sollte nicht vergessen werden. Dieser Vertrag gibt der internationalen Lagergemeinschaft Befugnisse, wie sie in keiner anderen KZ-Gedenkstätte in West oder Ost zugestanden wurden: Im Bereich der Gedenkstätte bedarf jede Veränderung der Zustimmung des CID.

Ludwig Eiber, Augsburg
ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | März 2002


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