Manuscript published in: Erinnerung: Zur Gegenwart
des Holocaust in Deutschland West und Deutschland Ost (Frankfurt:
Haag and Herchen, Spring 1993)
Translation of title: 'The Presentation of the Holocaust
in Museums at the Sites of Former Concentration Camps in the Federal
Republic, 1945-1990'
French translation by Vicky Rotarova, November 2014: "La présentation de l’Holocauste dans les musées sur les sites des anciens camps de concentration dans la République fédérale, 1945-1990."
Heute ist es fast selbstverständlich, daß
Ausstellungen an Orten ehemaliger Konzentrationslager in der Bundesrepublik
die Geschichte des Holocaust mehr oder weniger ausführlich
präsentieren. Sucht man nach solchen musealen Darstellungen
in den späten 40er und in den 50er Jahren, sieht die Lage
ganz anders aus. Obwohl sehr konkrete Hinweise und Informationen
über die systematische Ausrottung der Juden schon während
der Kriegszeit vorlagen, scheint das entsprechende Bewußtsein
vom Ausmaß der fabrikmäßig betriebenen Fließbanderschießungen
und vergasungen von Menschen sowohl bei den Alliierten als
auch bei der deutschen Bevölkerung während des ersten
Jahrzehnts nach dem Krieg nicht vorhanden gewesen zu sein. Wie
ich weiter unten ausführen werde, wurde dieses Bewußtsein
erst ab Ende der 50er Jahre durch Massenmedien und Gerichtsverhandlungen
geschaffen. Insofern müßte ich meine Ausführungen
erst nach der 'musealen nicht-Darstellung' des Holocaust einsetzen
lassen.
Für die Jahre vor ca. 1960 kann man jedoch die
Bezeichnung "museal" auf die bewußte Konservierung
und Gestaltung der Orte der NS-Verfolgung und Vernichtung
beziehen, und den Begriff Holocaust von der spezifischen Bedeutung
der Massenermordung der europäischen Juden um andere Verfolgungs
und Massentötungsprogramme der NS-Machthaber erweitern (z.B.
"Euthanasie"; Tötung von sowjetischen Kriegsgefangenen,
Sinti, und anderen Minderheiten, sowie die brutale Verfolgung
von Regimegegnern aller Art). Diese erweiterte Themenstellung
könnte folgendermaßen lauten: Die Darstellung des Holocaust
durch die Gestaltung der Orte ehemaliger Konzentrationslager
in der Bundesrepublik.
Am Ende des Krieges sprach man nicht vom "Holocaust",
sondern von "Naziverbrechen" ("Nazi atrocities")
und assozierte damit Namen wie Ohrdruf, Nordhausen, Gardelegen,
Buchenwald, Bergen-Belsen, oder Dachau -- Orte, die, übersät
von Gebirgen von Leichen und Sterbenden, von den Alliierten überrannt
wurden und tage und wochenlang die Medien beherrschten.
Heute hat sich diese Vorstellung konsolidiert und verfestigt,
wie das 1984 für die Stadt San Francisco geschaffene Holocaustdenkmal
von George Segal (ein in Bronze gegossener Leichenhaufen hinter
Stacheldraht) belegt. Aber dieses Image wird nunmehr mit dem Namen
"Auschwitz" (d.h. Auschwitz-Birkenau) in Verbindung
gebracht, also mit dem fabrikmäßigen Menschenmord durch
Gas. Ich werde diese Vorstellung als die vom "dreckigen KZ"
bezeichnen. Die damalige Vorstellung von der mörderischen,
undifferenzierten Massenbrutalität ist relativ nahtlos in
die heutige der brutalen, systematischen Massenvernichtung übergegangen,
so wie während des Dritten Reiches in umgekehrter Richtung
die "saubere" Schließung und Einebnung von Treblinka
in die grauenhafte Aufräumung in Bergen-Belsen überging.
Die Nachkriegshistorie hat die von den NS-Machthabern verwischten
Spuren erst sukzessiv wieder erschlossen.
Diese Vorstellung der Alliierten und vieler heutiger
Gruppen vom "dreckigen KZ" ist jedoch eindimensional.
D.h., sie berücksichtigt keine zeitliche und räumliche
Entwicklung des KZ-Systems. Die Leichenberge werden als Normalzustand
der Konzentrationslager seit 1933 zurückprojiziert, bzw.
die systematische Ausrottung von Menschen durch Gas als von "Anfang"
an existierender Plan angenommen. So grauenhaft es in den deutschen
Konzentrationslagern vom ersten Tag an zuging, so viel schlimmer
waren die Zustände Anfang der 40er Jahre und gegen Ende des
Krieges, während der Gebrauch von Häftlingen in den
Rüstungsindustrien anfänglich gewisse Verbesserungen
mit sich brachte. Ebenfalls gab es große Unterschiede zwischen
den einzelnen Lagern: Dachau und Buchenwald boten geradezu "günstige"
Überlebenschancen verglichen mit Mauthausen oder Flossenbürg,
die an Grauen wiederum von Auschwitz und Majdanek übertroffen
wurden.
Die ehemaligen Häftlinge (und einige sich heute
für die KZ Geschichte interessierende Gruppen) haben dagegen
ein "mehrdimensionales" Verständnis vom "dreckigen"
KZ-System, das zeitliche und räumliche Unterschiede kennt
und nach den betroffenen Gruppen differenziert. Dieses Verständnis
geht vom weiteren Begriff des Holocaust aus, hat sich im Laufe
der Zeit aber auch verändert. Insbesondere ist das Bewußtsein
(auch der ehemaligen politischen KZ-Häftlinge) von der Verwendung
der KZs nicht nur als Instrumente politischen Terrors, sondern
auch rassistischer Staatspolitik seit Anfang der 60er Jahre wesentlich
gestiegen.
Es gibt auch eine Gegenvorstellung zu der des "dreckigen"
KZs. Diese Auffassung wird selten klar artikuliert; sie kommt
zumeist indirekt zum Ausdruck in Aussagen wie die des Nicht-gewußt-Habens.
Ich gehe davon aus, daß diese Vorstellung, wenn evtl. nicht
vordergründig, insbesondere von denjenigen vertreten wird,
die einen "Schlußstrich" ziehen wollen bzw. den
Holocaust auf die eine oder andere Weise relativieren oder verharmlosen
wollen. Da diese Vorstellung ihren Ursprung in der offiziellen
Nazi-Darstellung der Konzentrationslager (aus der Vorkriegszeit)
als eine Art mustergültige, ordentliche, aufgeräumte
"Arbeitserziehungslager", werde ich diese Vorstellung
als die vom "sauberen KZ" bezeichnen.
Natürlich gibt es viele Schattierungen und Variationen
zwischen den beiden Vorstellungspolen "dreckig" und
"sauber", die sich insbesondere nach den Gruppen und
ihren radikal differierenden historischen Erfahrungen und gegenwärtigen
Interessen richten. Ich meine, daß sie trotzdem heuristischen
Wert haben und zum Verständnis der KZ-/Holocaustrezeption
in der Bundesrepublik beitragen können.
Mein Hauptargument in diesem Vortrag lautet: Das
jeweilige museal vermittelte Bild "des Holocaust" kann
als Versuch verstanden werden, eine von diesen Vorstellungsidealtypen
in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Es gibt 4 relativ klar
abgrenzbare Phasen in der Geschichte der Bemühungen, ein
bestimmtes Bild von den ehemaligen Nazi-KZs in Westdeutschland
zu vermitteln. Diese Phasen stehen mit bestimmten Gruppen in Zusammenhang
und gelten für alle ehemaligen KZs in der Bundesrepublik,
wobei es zu zeitlichen Verschiebungen je nach Ort kommt. Diese
Variationen sind durch die Besonderheiten der örtlichen Nachkriegsgeschichte,
sowie durch die Geschichte des jeweiligen KZs selbst zu erklären.
1. Die Phase der Besatzungsmacht erstreckt sich von
der Befreiung bis etwa zum Jahresbeginn 1948, als der Ost-West-Gegensatz
nicht mehr öffentlich zu leugnen war. In dieser Zeit dienten
die ehemaligen KZs als Internierungs- und Arbeitslager zur strafweisen
Umerziehung der Deutschen. Die Sieger vermittelten ein Bild vom
Holocaust, das die Brutalität und Menschenverachtung im alltäglichen
Umgang hervorhob.
2. Da die Besatzungmächte im Kalten Krieg bei
den Westdeutschen Verbündete suchten --viele ehemalige Häftlinge
standen dazu quer--, durften deutsche Behörden unter Ausschaltung
der ehemals Verfolgten von etwa 1948 an in einer zweiten Phase
eigenmächtig über die Lager bestimmen. In dieser Periode
wird das Bild vom sauberen KZ schrittweise verwirklicht, vor allem
durch die Beseitigung von Zeugnissen und den Abbau von anschaulichen
Überresten.
3. Erst nachdem die heiße Phase des Wirtschaftswunders
im vollen Gange war und die ehemaligen Häftlinge sich international
organisiert hatten, also etwa ab Mitte der 1950er Jahre, bekamen
die Staatsbehörden ernsthafte Konkurrenz. In einem Tauziehen,
das in Dachau bis Ende der 60er Jahre andauerte, haben die ehemals
Verfolgten Gedenkanlagen höchst unterschiedlicher Ausprägung
durchsetzen können.
4. Die letzte Phase wird charakterisiert von einer
gegenläufigen Tendenz, die von den nach dem Krieg geborenen
Generationen vorangetrieben wird; sie setzt etwa 1970 ein. Vielfach
wird die Ausstrahlung des "Holocaust"-Films 1979 als
Einschnitt in der Rezeptionsgeschichte des NS-Terrorapparats genommen,
aber die nähere Betrachtung zeigt, daß der Interessenaufschwung
der 80er Jahre auf einer längeren Entwicklung fußt.
Während dieser Phase wurden und werden die Gedenkstätten
zu Bildungs- und Forschungseinrichtungen ausgebaut und, was vielleicht
das Wesentliche ist, rege in Anspruch genommen. Mit knapp einer
Million BesucherInnen im Jahr gehört die Gedenkstätte
in Dachau zu den Spitzenmuseen der Bundesrepublik.
Die Alliierten gaben sich große Mühe,
dieses Bild vom dreckigen KZ auch der deutschen Bevölkerung
zu vermitteln. Bei Kriegsende wurden deutsche Zivilisten Zeugen
des Grauens an zahllosen Orten des NS-Terrors: sie wurden zwangsweise
durch die befreiten Lager geführt. Außerdem wurden
didaktische Serien in Zeitungen veröffentlicht, Poster mit
Szenen aus den befreiten Lagern aufgehängt, Ausstellungen
veranstaltet, Broschüren verteilt, besondere Radiosendungen
ausgestrahlt und Filme gezeigt. Die Alliierten, die die abscheulichen
Szenen in den KZs bei der Befreiung als Dauerzustand sich vorstellten,
waren überzeugt davon, daß die Deutschen schon viel
früher von diesen Zuständen Kenntnis gehabt hatten.
In Bergen-Belsen errichteten die Briten ein großes Schild
am ehemaligen Lagereingang, das in der englischen Fassung das
"berüchtigte" (infamous) Konzentrationslager Belsen
ankündigte, in der deutschen jedoch das "wohlbekannte"
Lager - ein Indiz dafür, daß die Alliierten die deutsche
Behauptung, eine abweichende Vorstellung von den KZs gehabt zu
haben, durch den Nachweis vor Ort zu widerlegen trachteten.
Im Juli 1945 wurde das befreite KZ Dachau in ein
"Prisoner of War Enclosure" für deutsche Kriegsgefangene
umgewandelt. Das eigentliche KZ, das Schutzhaftlager (im Gegensatz
zu dem wesentlich größeren Bereich der SS-Kaserne),
wurde "SS-Compound". Dort wurden bis Jahresende 1945
ca. 25,000 SS-Männer eingesperrt. Parallel zum Nürnberger
Prozeß begann am 15. November ein Prozeß gegen 40
Männer der Lagerverwaltung im Wirtschaftsgebäude des
ehem. KZs Dachau. Zur propagandistischen Begleitung dieses Prozesses
wurde im Dachauer Krematorium eine Ausstellung von ehemaligen
Häftlingen mit Beteiligung der US-Armee eingerichtet.
Das parkähnliche Ambiente des Krematoriums stand
in starkem Kontrast zu den Veranschaulichungen der unmittelbaren
Brutalität des Lageralltags im Inneren. Mittels Puppen wurden
beispielsweise 'Pfahlhängen' und die Prügelstrafe demonstriert.
Zweck dieser Ausstellung war, das harte Vorgehen gegen die Angeklagten
zu legitimieren; kein Versuch wurde unternommen, den Holocaust
als System zu begreifen. Weder der politische Terror noch die
Mordindustrie wurden dargestellt, nur der bestiale Sadismus. Auf
einem Schild draußen wurde auf die Einäscherung von
238.000 Menschen hingewiesen. Das Schild belegt das Beharren auf
die Vorstellung vom KZ als Leichenfabrik: es hing wahrscheinlich
einige Jahre, obwohl die korrektere Zahl von 32.000 Todesfällen
schon am Anfang des ersten Dachauer Prozesses im November 1945
herauskam und in einer Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung
veröffentlicht wurde.
Es gibt zahlreiche Zeugnisse dafür, daß
das offiziell vermittelte Bild der KZs nach der Machtübernahme
der Nationalsozialisten eins von Sauberkeit und Ordnung war. Stellvertretend
zitiere ich einen Artikel der Münchner Illustrierten
Zeitung von Juli 1933 mit dem Titel "Die Wahrheit
über Dachau":
"Volksgenossen, die artfremden Verführern
zum Opfer fielen und Wegbereiter des bolschewistischen Kommunismus
in Deutschland waren und sein wollten, werden durch die heilende
Wirkung produktiver Arbeit und straffer Disziplin zu brauchbaren
Mitgliedern des nationalsozialistischen Staates erzogen."
Obwohl die offene Propaganda recht bald fast keine
Informationen mehr über die KZs verbreitete, war die Auffassung
von KZs als "Arbeitserziehungslager" zumindest in der
Sphäre öffentlicher Kommunikation etabliert. Inzwischen
darf es als selbstverständlich gelten, daß breite Kreise
der Bevölkerung lange vor Kriegsende eine ganz andere Wahrheit
zumindest ahnten, aber insbesondere angesichts der massiven Vorwürfe
der Alliierten sich an dieses Nazi Propaganda-Image als Strohhalm
der Entlastung klammerten.
Alsbald versuchten westdeutsche Politiker die ehemaligen
KZs in Musterlager zu verwandeln. In Bayern verabschiedeten alle
Landtagsparteien im Januar 1948 einstimmig den Beschluß,
"mit der Militärregierung umgehend Verhandlungen
aufzunehmen, um auf dem schnellsten Wege Lagerobjekte - insbesondere
Dachau - freizubekommen zur Errichtung von Arbeitslagern für
asoziale Elemente."
Dabei sollte die Staatsregierung die
"Bedeutung der Arbeitslager als Stätten
der Umerziehung von arbeitsscheuen Elementen zu willig arbeitenden
Menschen"
ausdrücklich hervorheben. In Neuengamme wurde
das KZ tatsächlich in eine, wie es in der zeitgenössischen
Begründung der Gefängnisbehörde hieß, "mustergültige"
Erziehungsvollzugsanstalt umgewandelt.
Nach der Währungsreform im Sommer 1948 lagen
die Prioritäten jedoch anders: Kein Arbeitserziehungslager
wurde geschaffen, sondern das KZ Dachau wurde, wie viele andere
Lager aller Art in den Westzonen, in ein Wohnlager umgewandelt,
um Flüchtlinge aus dem Osten aufzunehmen. Für die enorme
Summe von über 5 Millionen DM wurde die "Wohnsiedlung
Dachau-Ost" im Winter 1948/49 geschaffen. In den folgenden
Jahren wurden im Lagerbereich Industrien angesiedelt, z.B. eine
Färberei, ein Lederveredelungsbetrieb, Nudel- und Strumpffabriken
und eine Holzwerkstatt. In die Baracken wurden nicht nur Wohnungen
für 400 Familien und 200 Ledige eingebaut, sondern auch Geschäfte,
Gaststätten, ein Kino, eine Schule und ein Kindergarten.
Die Lagerstraße wurde geteert, eine Buslinie in die Stadt
Dachau eingerichtet, und die Wasser- und Stromversorgung erneuert.
Es gab auch ein Siedlungseigenes heizkraftwerk und katholische
und evangelische Kirchen. In der ehemaligen Entlausung (an der
Stelle der heutigen jüdischen Gedenkstätte am Nordende
des Lagers) gab es eine Gaststätte, die übrigens 1961
vom neuen Wirt in "Gaststätte zum Krematorium"
umgetauft wurde. Nach und nach wurden die Umfassungsmauer und
die Umzäunung entfernt und mit dem Abriß der Wachtürme
begonnen.
Während die eigentlichen Überreste des
KZs zu einer "sauberen" Wohnsiedlung umgebaut wurden,
sollte das Andenken an die KZ-Zeit explizit durch Denkmale fortgesetzt
werden. Die KZ-Denkmale, die in dieser Zeit von Deutschen (z.T.
auf alliiertem Geheiß) vorgeschlagen und verwirklicht wurden,
spiegeln die Vorstellung des ordentlichen KZs wider: ein für
Dachau vorgesehenes Denkmalsmodell von November 1945 (30m hoher
Monumentalbau mit bekrönendem Goldmosaik), wie auch das im
April 1950 eingeweihte Denkmal des "unbekannten Häftlings"
von Fritz Koelle (unterlebensgroßer, auf hohem Sockel
stehender KZÜberlebender, glatt und säuberlich
umhüllt von den Falten seines Mantels). Ähnlich wurde
1952-53 in Neuengamme eine schlichte, 7m hohe Säule errichtet
- das denkbar einfachste Gedenkzeichen.
In Dachau wäre die öffentliche Erinnerung
an das "dreckige" KZ in dieser Zeit vielleicht sanft
entschlummert, wenn nicht ein Bagger, der in der Nähe des
KZs nach Sand grub, im Sommer 1949 ein Gemeinschaftsgrab mit ca.
20 Skeletten aufgedeckt hätte. Obwohl sich später herausstellte,
daß das Grab in keinem Zusammenhang mit dem KZ stand, wurde
gleichzeitig entdeckt, daß unmittelbar benachbarte Massengräber
von über 6000 KZ-Häftlingen zumindest vergessen, wenn
nicht absichtlich vernachlässigt worden waren. Eine internationale
Öffentlichkeit verfolgte den Vorfall mit Empörung. Um
vom Vorwurf der Vernachlässigung abzulenken, ließ der
bayerische Staat die Massengräber mit großem Aufwand
zu einem Friedhof mit einer Gedenkhalle ausgestalten. Zugleich
wurden alle ca. 400 bayerischen KZ-Grabstätten überprüft
und neugestaltet.
Zur weiteren Besänftigung der kritischen Stimmen
des Auslands wurde im Sommer 1950 die Ausstellung im Krematorium
auf Staatskosten renoviert: die Puppen wurden entfernt, und stattdessen
Dokumente und Übersichten ausgestellt, wie beispielsweise
eine Farbtafel mit den KZ-Winkeln, eine Übersichtskarte der
KZs in Europa, und eine Graphik der Dachauer Häftlingszahlen.
Ein Schillerzitat diente als Ausstellungsmotto:
Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Diese zweite Ausstellung war ein Schritt in Richtung
einer Versachlichung der Vermittlung der KZ-Erfahrung; die Darstellung
des Systems der Konzentrationslager und seiner zeitlichen Entwicklung
ist als Anliegen deutlich sichtbar. Diese Ausstellung währte
jedoch nicht lange, stand sie doch im krassem Gegensatz zur Tendenz
der Bereinigung der KZ-Vergangenheit.
Die ehemaligen Häftlinge, die stärksten
Befürwörter der Ausstellung, standen, nachdem sich das
internationale Interesse abgewandt hat, allein da. Ihre Stellung
in der bundesdeutschen Öffentlichkeit schwand rapide dahin.
Während eine gewaltige Renazifizierung der Staatsämter
stattfand (1951 waren beispielsweise 94% der bayerischen Richter
und Staatsanwälte, 77% aller Angestellten der Finanzbehörde
und 60% des Landwirtschaftsministeriums ehemalige Nazi PGs.),
wurden Häftlingsorganisationen wie die VVN und die Arbeitsgemeinschaft
Dachau von der Münchner Polizei überwacht und schikaniert.
Zu der heilen Welt der "Wohnsiedlung Dachau-Ost" paßte
die Ausstellung überhaupt nicht; die ersten Bemühungen,
sie zu entfernen, ließen nicht lange auf sich warten.
1952 fand eine Medienkampagne gegen die Ausstellung
statt, und nachdem die Gedenkveranstaltungen zum Befreiungstag
im April 1953 ohne öffentliche Resonanz vergangen waren,
ließ die Finanzbehörde die Ausstellung im Mai 1953
in einer Blitzaktion räumen und den Verkauf von Broschüren
und Postkarten über das KZ Dachau verbieten. Die behördliche
Antwort auf eine offizielle französische Anfrage nach den
Gründen für die Räumung bietet einen Einblick in
die dahinterstehende Vorstellung vom ehrenhaften KZ. Nach Anweisung
aus der Staatskanzlei teilte das Finanzministerium mit, es habe
sich um eine Ausstellung gehandelt,
"die im ehemaligen Krematorium von einem früheren
Lagerhäftling ohne Genehmigung eingerichtet worden war. [Aber
wohl auf Veranlassung und mit Geldern des Staates!] Diese Ausstellung
wurde nach übereinstimmender Auffassung der zuständigen
Stellen [!] durch die Art ihrer Darbietung dem von den Lagerhäftlingen
gebrachten Opfer in keiner Weise gerecht."
Die Entfernung der Ausstellung scheint dem Verlangen
nach einer unbefleckten Erinnerung nicht genügt zu haben.
Im Juli 1955 beantragte der Dachauer Landtagsabgeordnete die Schließung
des Krematoriums. Da internationale Verträge die Unantastbarkeit
von Grabstätten festgelegt hatten (eine Folge des Skandals
um die Leiten-Gräber), durften deutsche Stellen die Schließung
nicht verfügen, und der Antrag wurde zurückgezogen.
Kurze Zeit später ließ der Dachauer Landrat jedoch
sämtliche Wegweiser zur Gedenkstätte entfernen, wie
auch die Originalbeschriftung "Brausebad" an der Gaskammer
und andere Originalaufschriften im Krematorium (wie etwa "Gaszeit"
an den Türen der Entlausungskammern).
Gleichzeitig verzeichneten die ehemaligen Häftlinge
erste Erfolge in ihrem Versuch, sich durch internationalen Rückhalt
gegen die Ausgrenzung und Diffamierung in der Bundesrepublik zu
wehren. Forschungsprojekte, die auf einem großen Treffen
im April 1948 in Buchenwald begonnen wurden, aber wegen der erneuten
Diskriminierung und Verfolgung nicht verwirklicht werden konnten,
wurden ab 1955 wieder in Angriff genommen. Als Lobby für
die Schaffung einer Gedenkstätte in Dachau wurde das internationale
Häftlingskomitee der Lagerzeit 1956 wieder ins Leben gerufen.
Als Beispiel für die Haltung, gegen die diese
Gruppe ankämpfen mußte, zitiere ich eine Postwurfsendung,
die 1955 von der bundesdeutschen Dachaugemeinschaft an alle Haushalte
in Dachau geschickt wurde. Man beachte den Kontrast zwischen dem
"dreckigen" und dem "sauberen" KZ:
"Liebe Dachauer Bürgerinnen und Bürger!
Unterschiedliche Gruppen ehemaliger Häftlinge
hatten unterschiedliche Vorstellungen von der KZ-Vergangenheit,
an die zu erinnern war. Insbesondere sind zu nennen: deutsche
und ausländische politische Häftlinge, sowie katholische,
evangelische und jüdische Gruppen. Die politischen Häftlinge
hatten eine klare Vorstellung von dem System der KZs im Reichsgebiet,
aber die Ausmaße des fabrikmäßigen Massenmords
war ihnen zunächst nicht voll bewußt. Wie bereits 1957
beim sogenannten Ulmer Einsatzgruppenprozeß, ging 1961 vom
Eichmann-Prozeß in Jerusalem eine schockwellenartige aufklärerische
Wirkung aus. Auch die ehemaligen politischen Häftlinge wurden
dadurch für die Geschichte des Holocaust im engeren Sinne
sensibilisiert, für diese weitere Dimension der "dreckigen"
Seite der KZ/Vernichtungslager. Die Lagergemeinschaft Dachau machte
dazu eine Dokumentarausstellung in München. Die Frankfurter
Auschwitz-Prozesse 1964 gaben wiederum einen kräftigen Impuls,
sich mit der geplanten Ausrottung aller europäischen Juden
zu befassen.
Der Bewußtseinswandel der ehemaligen Häftlinge
läßt sich in Dachau zeitlich ziemlich genau eingrenzen,
denn im Sommer 1960 wurde eine vorläufige Ausstellung im
Krematorium eingerichtet. Darin fehlte der Holocaust, verstanden
als die fabrikmäßige Menschenvernichtung. Ein weiterer
Schritt der Versachlichung und Verwissenschaftlichung gegenüber
der Ausstellung von 1950 wurde jedoch getan. Beispielsweise wurde
eine Häftlingsuniform in eine Vitrine gehängt und maßstabgetreue
Lagermodelle angefertigt. Jede Aussage über das Lager wurde
durch Kopien von Originaldokumenten belegt. In jedem Bereich des
Krematoriumgebäudes wurden erklärende Hinweistafeln
aufgestellt. Aber dieses Bemühen um Reduktion auf das unanfechtbar
Belegte konnte auch ein schiefes Bild vermitteln.
Die Originalaufschrift "Brausebad" über
der Tür zur Gaskammer wurde mit folgendem Text kommentiert:
"Dieser Raum wäre als Auskleide- und Warteraum
verwendet worden, wenn die Gaskammer funktioniert hätte.
Die Aufschrift 'Brausebad' diente zur Täuschung der Häftlinge."
[Hervorhebung hm]
Das war aber eine Untertreibung: die Gaskammer
war in der Tat lange vor Kriegsende voll funktionsfähig,
sie wurde aus nicht endgültig geklärten Gründen
aber nicht in Betrieb genommen (evtl. weil die Sterblichkeit aufgrund
von Epidemien schon so hoch war, daß man die Menschen nicht
mehr im großen Stil vorsätzlich töten mußte).
Außerdem konnte man das Krematorium im Winter 1944/45 wegen
Brennstoffmangel sowieso nicht betreiben, so daß ohnehin
viel zu viele Leichen anfielen. Jener Kommentar war jedoch eine
defensive Antwort auf die heute noch in gewissen Kreisen vielbeschworene
"Gaskammerlüge" von Dachau, nämlich daß
das neue Krematorium mit den Gas- und Leichenkammern in Dachau
von deutschen Kriegsgefangenen auf Befehl der US-Armee erst nach
dem Krieg erbaut wurde.
Diese Behauptung stellt die auf die Spitze getriebene
Formulierung der Vorstellung vom "sauberen KZ" dar.
Sie findet sich jedoch nicht nur im rechtsapologetischen Kreis
um die "Deutsche National- und Soldaten-Zeitung"; Aussagen
von älteren Deutschen (insbesondere der Jahrgänge vor
ca. 1915) deuten darauf hin, daß nicht wenige davon überzeugt
sind, daß die Leichenberge in den KZs v.a. wegen dem von
den Alliierten verursachten Versorgungs- und Transportkollaps
gegen Kriegsende, sowie durch alliierte Luftangriffe entstanden
seien. Davor, so wird "erinnert", sei es in den KZs
zwar schlimm gewesen, aber zu "Derartigem" sei es nicht
gekommen. Aus diesem Körnchen verzerrter Wahrheit wird dann
das ganze Rechtfertigungsgebäude der Nachkriegszeit aufgebaut,
das eine Wurzel der Überrest-armen Topographien bundesdeutscher
Gedenkstätten darstellt. [Nestbeschmutzungsvorwurf]
Eine neue Museumskonzeption wurde in den Jahren nach
1962 mit Hilfe jüngerer deutscher PädagogInnen erarbeitet.
Im Mai 1963 wurde Sinn und Zweck des zu gestaltenden Museums wie
folgt formuliert:
"Das Museum im ehemaligen KZ-Dachau
soll der Aufgabe dienen, einem möglichst weiten Besucherkreis
ein realistisches und in jeder Beziehung wahrheitsgetreues
Bild aller Geschehnisse, die sich in diesem Lager abspielten,
zu vermitteln. Darüber hinaus muß die Ausstellung aufzeigen,
wie sich dieses mörderische System entwickeln und ausbreiten
konnte." [Hervorhebung hm]
Diese neue Ausstellung wurde 1965 eröffnet;
sie besteht heute noch fast unverändert. Sie hat vier Hauptabteilungen:
In dieser Konzeption sollte das Lager möglichst
im Originalzustand konserviert werden, doch die Eingriffe in die
Bausubstanz bei der Einrichtung des Wohnlagers, z.B. die Innen-
und Außenverkleidung der Baracken, waren nicht mehr rückgängig
zu machen. Staatliche Denkmalspfleger, vermutlich immer noch an
die "saubere" Seite der KZs denkend, konnten die ehemaligen
Häftlinge überreden, sämtliche Bauten des Schutzhaftlagers
(außer den noch stehenden Wachtürmen und dem Wirtschaftsgebäude
am Südende) abreißen zu lassen, und zwei Baracken am
Südende neu zu errichten. Aus diesem Kahlschlag resultierten
die heutigen sogenannten Barackenfundamente: die Umrisse der unfundamentierten
Baracken wurden 1964-65 in Beton nachgegossen. Und die zwei Baracken
am Südende des Lagers wurden in vereinfachter Form auf Betonplatten
nachgebaut. Nichts weist darauf hin, daß diese Baracken
ursprünglich keine Unterkunftsbaracken waren, sondern einen
Teil des Reviers bzw. die Lagerkantine beherbergten.
Die Komplexität und Normalität des KZs,
eben das, was es anschaulich machen könnte, wurde beseitigt
zugunsten eines simplen, abstrakten Bildes. Es treffen sich in
diesem didaktisch motivierten partiellen Nachbau des Lagers drei
Vorstellungen vom "Holocaust". Einmal wird in den (im
übrigen heute noch andauernden) Abrißarbeiten das Bemühen
um die Säuberung der KZ-Geschichte von Hinweisen auf die
schmutzige Geschichte offenbar. Und da fast jeder Hinweis auf
das Geschehen in einem NS-Konzentrationslager irgendwie auf Schmutz
hindeutet, führt dieses Bestreben in letzter Konsequenz zur
völligen Beseitigung aller Überreste und Denkmale.
Zum Zweiten: Die vereinfachende Rekonstruktion und
Konservierung nur ausgewählter Details zeugt von der undifferenzierten
Vorstellung zu Kriegsende von primitiven, brutalen Leichenfabriken.
Abgesehen vom Museumsgebäude, dessen Funktion in der Lagerzeit
den meisten BesucherInnen verborgen bleiben dürfte, existieren
als einprägsame historische Gebäude auf dem Lagergelände
nur die Unterkunftsbaracke und das große Krematorium. Von
der Pritsche in den Ofen? Nur die intellektuelle Auseinandersetzung
mit den Texten im Museum vermag die dazwischenliegende Zeit mit
Inhalt zu füllen. Im groben Langzeitgedächtnis speichert
sich der Eindruck des Gedenkstättenbesuchs als eine Vorstellung
vom KZ als kurzfristiger Folter- und Todesstätte.
Schließlich wird in dem Bemühen, die volle
Komplexität der Lagerwirklichkeit wiedererstehen zu lassen,
das Bild des mehrdimensionalen, "dreckigen" KZs sichtbar:
Die vor wenigen Jahren auf dem kahlen Lagergelände aufgestellten
Schautafeln mit Großfotos aus der Lagerzeit zeugen in ihrer
Einsamkeit von dem noch begrenzten Erfolg dieser Tendenz. Führungen
von Zeitzeugen oder ausgebildeten LehrerInnen, der Gedenkstättenfilm,
das Museumskatalog, die Schriftenreihe und nicht zuletzt das Jugendbegegnungszeltlager
in Dachau sind weitere Beispiele für dieses Bestreben, aber
im Gegensatz zu einer reicheren Rekonstruktion des Lagers (sofern
die Überreste schon entfernt wurden) vermögen sie nur,
einen Bruchteil der BesucherInnen zu erreichen.
Doch die Gruppen, die an einem Gedenken in Dachau
interessiert sind, sind vielfältig - nicht alle sind an historischer
Aufklärung oder Erklärung interessiert. Das katholische
Gedenken in Dachau ist auf das Jenseits ausgerichtet; es beachtet
die quälenden Seiten des irdischen Daseins kaum. Folgerichtig
tauchen nur die spärlichsten Hinweise auf den Holocaust auf.
Innerhalb weniger Monate im Jahr 1960 ließ der ehemalige
Dachau-"Sonder"-Häftling Weihbischof Neuhäusler
die katholische "Todesangst-Christi-Kapelle" erbauen.
Der schlichte Rundbau, dessen Außenhaut von im Fischgratmuster
gelegtem glattem Isarkies gebildet wird, ragt in beherrschender
Stellung am Nordende der Lagerstraße empor. Seine schützende
Hülle öffnet sich zum Lager hin. Spärliche Überreste
einer Grünanlage, ein Rasenstück und ein Kranz von Eichen,
lassen kaum die Wirkung der ursprünglich geplanten Ausdehnung
des Grüns auf das gesamte Lager ahnen. Die Ereignisse des
Lagers sind in der künstlerischen Gestaltung weitestgehend
ausgeblendet; im Andenken an die Passion des Herrn, der stilisiert
am Kruzifix im Mittelpunkt schwebt, soll versöhnender Dienst
an der göttlichen Vorsehung verrichtet werden.
Knapp hinter der Kapelle wird dieser Dienst Tag und
Nacht verrichtet. Das 1962-63 erbaute katholische Karmelitinnenkloster
wird durch ein Portal im angrenzenden KZ-Wachturm betreten. Die
vielbeschworene "hermetische Abgeschlossenheit" des
Lagers wird an der undurchdringlichsten Stelle aufgelöst.
Die einzige Erinnerung an das ehemalige KZ sind einige in Schaukästen
ausgestellte liturgische Geräte und Gewänder, die von
inhaftierten Priestern verwendet wurden. Es sind dies vielleicht
die einzigen Überreste, die derart von der Vielschichtigkeit
des Lageralltags Zeugnis ablegen könnten. Doch durch die
museale Präsentation und die Kontextlosigkeit werden sie
ihrer Kraft beraubt.
Auch auf dem Leitenberg zeigt sich die Vergangenheitslosigkeit
des katholisch geprägten Gedenkens. Obwohl Menschen jüdischen
Glaubens die Mehrzahl der dort Verscharrten und Begrabenen ausmachen
durften (viele der bei der Befreiung vorgefundenen Toten waren
aus anderen Lagern evakuierte Juden), steht das katholische Gedenken
auffallend im Vordergrund. Der Weg vom Parkplatz hinauf führt
an 14 Kreuzwegstationen vorbei, die die KZ-Marter mit der Passion
Jesu verquicken. In der Friedhofsanlage steht ein Hochkreuz im
Mittelpunkt, dessen Reliefs christliche Martyriumsszenen wiedergeben.
Dagegen ist der bemooste jüdische Gedenkstein an einer unscheinbaren
Stelle versteckt. Auch die 1957-63 errichtete italienische Mini-Kuppelkapelle
auf einer westlichen Anhöhe neben der Anlage dient der katholischen
Totenehrung. Als einzige Anomalie zur messianisch überhöhten
Vereinnahmung steht als Pendant auf dem Osthang ein urwüchsig-germanischer
Achteckbau (vgl. Aachen, Castel del Monte, Tannenberg, Annaberg,
El Alamain) aus einheimischem Nagelfluh (die Italiener bauten
aus Carrera-Marmor), dessen düsteres Inneres mit den Wappen
der Nationen und einem bronzenen Taufbecken ausgestattet ist;
bronzene Fackelhalter in den Ecken können ggf. für kultische
Beleuchtung sorgen.
Östlich der katholischen Kapelle im Lager steht
eine jüdische Gedenkstätte (1964-67 erbaut). Der Bau
sollte ausdrücklich keine Synagoge sein, denn nach jüdischer
Auffassung sei es ein Ding der Unmöglichkeit, an solch gottverlassenem
Ort ein Gotteshaus zu errichten. Der im Grundriß bogig keilförmige
Bau schirmt sich durch die Dachschräge gegen das Lager ab.
Seine Gestalt nimmt ikonographisch Bezug auf den Holocaust: Eine
Rampe, ähnlich der Selektionsrampe in Birkenau, führt
hinunter in die gruftähnliche Kammer. Der Weg ist gesäumt
von stilisiertem Stacheldrahtgeflecht; ein bewehrtes Gitter verweigert
dem Herantretenden Einlaß. Im rückwärtigen Scheitel
führt ein heller Marmorstreifen empor zu einer lichtdurchfluteten
Öffnung: der einzig vorgesehene Ausgang für Juden aus
einem Nazilager war der Schornstein des Krematoriums. Der abschirmende,
eingekapselte, isolierte Bau repräsentiert das jüdische
Gedenken in Dachau: keine Fragen, keine Antworten, bewußte
Abstinenz von Sinngebung, nur der Schmerz der Erinnerung.
Ganz anders dagegen ist die Gedenkkonzeption der
ebenfalls 1964-67 erbauten evangelischen Versöhnungskirche.
Den von der Lagerstraße Kommenden öffnet sich eine
weite Treppenanlage, die einladend in die Tiefe führt. Keine
aufragende Überhöhung des Lagerleidens wie im katholischen
Bau soll hier stattfinden, sondern Einkehr in eine introspektive
Reflexion. Eintretende Besucher werden in einen geschlossenen
Innenhof geführt, der zwischen einem etwas tieferliegenden
Sammlungs- und Gesprächsraum links und dem kargen Kirchenraum
rechts vermittelt. Der Ausgang führt durch die Kirche hinauf
durch einen schmalen Betongang. Der Rundgang führt dann unmittelbar
weiter zum Krematorium.
Von Anfang an wurde hier ein Dienst am Menschen vorgesehen:
Ein hauptamtlicher Geistlicher ist der Kirche zugeteilt, und freiwillig
arbeitende Jugendliche der Aktion Sühnezeichen, die schon
beim Bau der Kirche mithalfen, ermöglichen eine ganzjährige
Besucherbetreuung mit Gedenk- und Bildungsveranstaltungen. Im
Gegensatz zur Gloria Dei der Katholiken und dem blanken, hoffnungs-
und sinnlosen Schmerz der Juden wird hier im Verständnis
des Evangeliums mit der Macht des Wortes versucht, Wissen um und
Erfahrung vom KZ-Geschehen zu vermitteln.
Als jüngstes Werk der monumentalen Gedenkkunst
im Lager zeigt sich das internationale Mahnmal am Rande des Appellplatzes
am entgegengesetzten Südende des Lagers. Obwohl es erst im
September 1968 eingeweiht wurde, wurde der Entwurf schon 1959
von Albert Guérisse, einem belgischen ehemaligen Häftling,
der ein führendes Mitglied der Résistance war und
später eine höhere Stellung in der NATO innehatte, gegen
die Bedenken der deutschen Häftlinge durchgesetzt. Jene meinten,
das filigran in Bronze gegossene Menschengemetzel stelle nur das
Leiden im Lager dar ("dreckiges KZ"); sie wollten auch
ein Symbol der Häftlingssolidarität und des Widerstands
gegen eben diese Reduktion auf namenlose, entpersonalisierte Leichen.
Als Kompromiß zur Veranschaulichung der internationalen
Solidarität der Häftlingsgruppen wurde ein Kettenrelief
mit verschiedenfarbigen KZ-Winkeln in der Sockelanlage montiert.
Dabei fehlen jedoch einige der von der SS zur Kategorisierung
der Häftlinge verwendeten Farben: das Grün der "Berufsverbrecher"
oder Kriminellen, das Rosa der Homosexuellen, das Schwarz der
"Asozialen" - die oft willkürlich gewählten
Stigma der SS wurden übernommen, die damalige Ausgrenzung
symbolisch fortgesetzt. Es ist fraglich, ob ein Denkmal überhaupt
in der Weise differenzieren kann, doch wird dabei der nachträglichen
Pauschalisierung der Vergangenheit Vorschub geleistet.
Ein letztes Beispiel aus dieser Zeit soll belegen,
daß die Vergangenheit der KZ-Orte durchaus kein Stigma war
in den Augen derer, die der Vorstellung vom sauberen KZ anhingen.
Das Schutzhaftlager machte nur etwa 1/5 der Gesamtanlage des KZs
Dachau aus. Der größere Teil beherbergte die SS-Wachmannschaften
und zwei SS Kampfeinheiten, sowie einige große Versorgungsbetriebe
für die SS Truppen (z.B. Deutsche Ausrüstungswerke).
Von 1945 bis 1971 benutzte die US-Armee diese KZ-Anlagen für
ähnliche Zwecke. Als das Gelände dann an die Bundesrepublik
zurückgegeben wurde, ergriffen die bayerischen Behörden
die ideale Gelegenheit, dort eine Einheit der Bereitschaftspolizei
zu stationieren. (Übrigens hatten Bereitschaftspolizisten
schon im Frühjahr 1933 für die SS Wachen in Dachau gekocht
und geputzt.)
Daß die Lagergeschichte die Seelen der Verantwortlichen
in keiner Weise belastete, wird anhand zweier Ereignisse des Jahres
1981 klar. Einmal übte die Bereitschaftspolizei Häuserräumungen
mit in der Gedenkstätte vernehmbaren Lautsprecheransagen;
kurze Zeit später führte sie das für den Kriegsgebrauch
geächtete Erstickungstränengas "CS" ebenfalls
im ehemaligen SS-Lagerbereich vor. Als die nationalen Medien solche
Insensibilität monierten, antwortete der Polizeichef entlarvend,
kein Mensch habe an die Bedeutung und Geschichte des KZs gedacht.
Zehn Jahre später sind wir vielleicht etwas
sensibler geworden, z.B. wenn die Hamburger Innenbehörde
unter dem Druck der Öffentlichkeit die geplante Gefängniserweiterung
auf dem Schutzhaftlagergelände in Neuengamme unterläßt,
oder wenn der Bau eines Lebensmittelgeschäfts auf einem Teil
des Ravensbrücker Lagergeländes durch öffentliche
Empörung verhindert wird.
Eingangs habe ich erwähnt, daß seit etwa
1970 eine neue Generation mit einer mehrdimensionalen Vorstellung
vom Holocaust versucht, den Kampf der ehemaligen Häftlinge
gegen das Bild des sauberen KZs fortzusetzen. Eine Graphik der
Dachauer Besucherzahlen zeigt einen Anstieg der deutschen Besucherzahlen
ab 1973, die v.a. durch eine überproportionale Zunahme der
Anzahl von Schulklassen und Jugendgruppen bedingt ist. Zwischen
1973 und 1979 kletterte diese Ziffer von 500 auf über 5000
jährlich. Es ist in diesem Zusammenhang unwichtig, ob die
Schüler selbst oder ob ihre LehrerInnen diese Fahrten initiierten,
und wie tief der hinterlassene Eindruck war; Tatsache bleibt,
daß allerwenigstens die Existenz der Gedenkstätte und
des Holocaust fest im Bewußtsein eines breiten Publikums
verankert ist.
Die erste größere gedenkstättenbezogene
Initiative von Jugendlichen fand im Jahr 1970 statt. Im Vorfeld
der Münchener Olympiade 1972 schlugen die Dachauer Jungsozialisten
dem Stadtrat einen 7-Punkte-Plan vor, in dem sie pädagogische
und didaktische Maßnahmen forderten, wie etwa eine wissenschaftliche
Dokumentation der Lagergeschichte, eine Jugendbegegnungstätte
und eine hauptamtliche BetreuerIn für Besucher.
Seitdem befaßte man sich v.a. mit der Verbesserung
der didaktischen Einrichtung und der pädagogischen Betreuung
in der Gedenkstätte:
Im Jahre 1990 unterscheiden sich die Nestbeschmutzungsargumente
vieler saubermännischer Politiker nur wenig von denen der
50er und 60er Jahre; ich werde nicht gesondert auf sie eingehen.
Trotz der soeben aufgelisteten Fortschritte in Richtung der Veranschaulichung
einer mehrdimensionalen Vergangenheit ist das Tauziehen zwischen
den Befürwörtern aufklärender Erinnerung und den
Verfechtern der sauberen Vergangenheit keineswegs vorbei. Davon
legt der Wahlerfolg der "Republikaner" in den Dachauer
Gemeindewahlen Zeugnis ab: mit der Forderung des Gedenkstättenabrisses
ergatterten sie 1989 ein gutes Fünftel der Stimmen. Auf nationaler
Ebene wären der sogenannte Historikerstreit (1986ff.) und
das geplante nationale Opfermal in Bonn (1983-88) zu nennen: ersterer
kann als Versuch gewertet werden, die öffentlichen Vorstellungen
vom Holocaust zu "säubern"; letzteres ist beispielhaft
für die nivellierenden Gedenk-Gegenentwürfe jenes Erinnerungslagers.
Wenn man die mehrdimensionale, "dreckige"
Vergangenheit nicht als Schmutz auf der eigenen Weste begreift,
sondern als Chance, um den Philosophen Karl-Otto Apel zu zitieren,
"etwas Besonderes aus der nationalen Katastrophe" zu
lernen, dann müßte man an den Tat- und Lernorten der
Vergangenheit die Komplexität der Vergangenheit plastisch
wiederauferstehen lassen. Echte historische Aufklärung kann
mit eindimensionalen Vorstellungen, seien sie "dreckig"
oder "sauber", beginnen, aber die Gefahr ist
groß, daß der Aufklärungsprozeß dann in
eine Sackgasse gerät. Sofern die Orte der Vergangenheit schon
von unliebsamen Relikten bereinigt worden sind, dann ist eine
bis in die relevante Details korrekte Rekonstruktion wünschenswert
und notwendig, um die willkürliche 'Auffüllung der Erinnerung,
Prägung der Begriffe, und Deutung der Vergangenheit' im Interesse
der Tagespolitik vorzubeugen, wie es Regierungshistoriker Michael
Stürmer jüngst vorgeschlagen hat.
1945-1990
Die Vier Phasen
So wurde in Dachau bis 1965 ein aufgeräumtes, denkmalgeschütztes
Lagergebiet mit Museum und Bibliothek verwirklicht; in Bergen-Belsen
1966 eine kleine unbetreute Ausstellung außerhalb des eigentlichen
Lagerbereichs, das zu Wald und Wiese geworden war; und in Neuengamme
1965 nur eine schlichte Denkmalsanlage am Rande des in ein Gefängnis
verwandelten ehemaligen KZs.
Diese Lösungen waren allesamt mühsam errungene Kompromisse,
die als Versuche beschrieben werden können, eine mehrdimensionale
Vorstellung von den "dreckigen" KZs aus den zufällig
erhalten gebliebenen Überresten zu rekonstruieren.
In diesen Jahren wurde und wird versucht, den von den ehemaligen
Häftlingen abgesteckten mehrdimensionalen Rahmen mit konkretem,
nachvollziehbarem Inhalt zu füllen.
1) Die Besatzungsmacht, 1945-1948
2) Das Bild der sauberen KZs, 1949ff.
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch!
Mit euch wird sie sich heben!
3) Die ehemaligen Häftlinge, 1960-70
Für viele, die Ihre aufstrebende Stadt am Rande Münchens
nicht kennen, hat Dachau immer noch einen schrecklichen Klang.
[Jene] wissen nichts von den Naturschönheiten, die Ihre alte
bayerische Stadt umgeben, daß ein Ludwig Thoma hier gelebt
und viele seiner Werke geschaffen hat. Für sie ist Dachau
immer noch untrennbar verbunden mit dem Nazi-Konzentrationslager,
das hier von 1933-45 aufrechte Deutsche und Menschen aller europäischen
Nationen hinter seinen elektrisch geladenen Zäunen gefangen
hielt.
Erst als 1945 die Stunde der Befreiung für die Häftlinge
schlug, haben Sie den ganzen Umfang des Schreckens, des Grauens
und des Todes erkennen können. Dankbar gedenken heute noch
viele ehemalige Häftlinge der Hilfe, die ihnen von Bürgern
Ihrer Stadt während der Jahre der Unterdrückung gegeben
wurde..."
-Die Vorgeschichte bis zur Machtübernahme
-Das Konzentrationslager Dachau
-Die Vernichtung; darin ein umfangreicher Abschnitt "Die
Endlösung der Judenfrage" (setzt 1941 ein)
-Das Ende der Konzentrationslager (über die Evakuierungen
und Befreiung).
4) Nachkriegsgenerationen, ab 1970
1978 wurde der Katalog zur Ausstellung fertiggestellt;
1979 begannen Freiwillige der Aktion Sühnezeichen, regelmäßig
im Lager zu arbeiten;
1980 nahmen das katholische "Dachauer Forum" und der
eingetragene Verein "Zum Beispiel Dachau" gedenkstättenbezogene
Arbeit auf;
ebenfalls 1980 wurden drei Lehrer vom bayerischen Kultusministerium
zum Dienst in der Gedenkstätte abgestellt; bis 1987 stieg
ihre Zahl auf 9.
Seit 1983 wird jährlich ein internationales Jugendbegegnungszeltlager
veranstaltet;
1984 schlossen sich verschiedene Trägergruppen zusammen,
um einen Förderverein zur Durchsetzung und Betreuung einer
Jugendbegnungsstätte gegen staatlichen Widerstand zu bilden.
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