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Harold Marcuse, Rezension für Archiv für Sozialgeschichte, 1997

David A. Hackett (Hg.), Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, C.H. Beck Verlag, München 1996, 456 S., DM 58,-, geb.

Eugen Kogons Der SS-Staat: Das System der deutschen Konzentrationslager ist bald nach seinem ersten Erscheinen 1946 zu einem Standardwerk über die Geschichte der deutschen Konzentrationslager geworden. Leser dieses Klassikers erfahren in der Einleitung, daß Der SS-Staat die überarbeitete Version eines Berichts ist, den Kogon mit einer Gruppe befreiter Buchenwald Häftlinge für den amerikanischen Kriegsnachrichtendienst geschrieben hat. Das Vorhaben, den ursprünglich hektografierten deutschsprachigen Bericht ins Englische zu übersetzen und zu veröffentlichen, wurde bald aufgegeben. Stattdessen wurde Kogon von den Alliierten unterstützt, aus dem Bericht, "der ja seinem ganzen Charakter nach an eine Behörde, nicht an die Öffentlichkeit gerichtet war," wie Kogon in der 1974er Einleitung schrieb, ein Buch zu machen.

Kogons abwertende Charakterisierung des ursprünglichen Reports, die zur Erklärung und Rechtfertigung von dessen Umarbeitung geschrieben war, ist kaum zutreffend, wie die Lektüre des lange Zeit verschollen geglaubten Manuskripts erweist. Der ursprüngliche Buchenwald-Report ist knapp aber detailliert, lebendig trotz Analyse, gleichzeitig abwägend und ereignisnah. Dem Report wurde eine Auswahl von 168 Auszügen aus den 104 Erlebnisberichten, die Kogons Gruppe als Forschungsgrundlage zusammengetragen hatte, angehängt. Sie sind ebenfalls in der hier rezensierten Edition publiziert, und Kogons Vorwurf der Bürokratensprache gilt noch weniger für sie, da sie unter dem unmittelbaren Eindruck des Lagerlebens entstanden sind. David Hackett, Professor der Geschichte an der University of Texas, El Paso, und Kollege des damaligen amerikanischen Projektleiters, der ihm seine Kopie des Reports zur Verfügung gestellt hat, hat dem Bericht eine solide historische und publikationsgeschichtliche Einleitung vorangestellt, und den Text mit einem detaillierten wissenschaftlichen Anmerkungsapparat versehen. Sie machen dieses Buch zu einer Quellenausgabe ersten Ranges, die für das Studium der NS-Zeit von großem Nutzen sein wird.

In dieser hervorragend edierten Dokumentenausgabe gibt es zwei Desiderata. Das erste betrifft die Nachkriegsbiographien der Überlebenden, die Berichte für Kogons Team geschrieben haben, sowie einiger der KZ-Schergen, dessen Untaten die Überlebenden in diesen Berichten beschreiben. Hackett hat die Unterlagen der alliierten Prozesse gründlich nach Informationen zu den Nachkriegsschicksalen durchkämmt, aber in manchen Fällen viel näherliegende und leicht verfügbare Quellen außer Acht gelassen. Wir erfahren z.B., daß der Überlebende Ludwig Fleck, Verfasser eines erschütternden Berichts über den Holocaust in Lemberg und Treblinka, später ein namhafter Wissenschaftler geworden ist (S. 441). Dagegen lesen wir nichts über Emil Carlebach, der nach dem Krieg die Frankfurter Rundschau mitgegründet hat, eine umfangreiche publizistische Tätigkeit entfaltete, und sich im Buchenwälder Lagerkomitee engagierte. Auf der Täterseite erfahren wir einiges über das Nachkriegsschicksal beispielsweise von Ilse Koch, der "Bestie von Buchenwald," aber fast gar nichts über den pathologischen KZ-Wächter Martin Sommer, dessen Prozeß 1957 viel Aufsehen erregte, oder über den SS-Arzt Hans Eisele, der nach seiner Freilassung 1952 erst unbehelligt in der Bundesrepublik lebte, dann im Vorfeld des Sommer-Prozesses nach Ägypten floh, wo er bis zu seinem Tod 1967 Karriere machte.

Die zweite Lakune betrifft einen Sachverhalt, der in jüngster Zeit kontrovers diskutiert wurde: die Aktivitäten der kommunistischen Häftlingskapos in der Grauzone zwischen dem allmächtigen SS-Personal und den völlig machtlosen, zumeist jüdischen Opfern am unteren Ende der Häftlingshierarchie. Wohl weist Hackett an mehreren Stellen darauf hin, daß Spannungen zwischen dem konservativen Katholik Kogon und den Kommunisten im Lager bestanden. Aber, da diese Spannungen vermutlich erhebliche Auswirkungen sowohl auf den Inhalt des Reports als auch auf die Auswahl der angehängten Erlebnisberichte hatten, hätten sie eine eingehendere Besprechung verdient. Gleichzeitig mit der Fertigstellung des Manuskripts zur englischsprachigen Erstausgabe des Reports erschien sogar eine ganze Buchveröffentlichung zu diesem Thema: Lutz Niethammer (Hg.), Der 'gesäuberte' Antifaschismus: Die SED und die roten Kapos von Buchenwald (1994). Leider hat Hackett die Ergebnisse dieser Forschergruppe nicht in die deutsche Ausgabe eingearbeitet, sondern nur kurz auf sie verwiesen (S. 12).

Einige Hinweise an dieser Stelle mögen die Bedeutung dieses Aspekts deutlich machen. Wie Hackett schreibt, war der kommunistische Journalist Stefan Heymann einer der engsten Mitarbeiter Kogons bei der Abfassung des Reports (40). Nun war Heymann, Kogon selbst zufolge, ihm während der Lagerzeit zugeteilt, um ihn zu beobachten und im Sinne der kommunistischen Häftlingsorganisation zu beeinflussen. Niethammer schreibt sogar, daß die Lagerkommunisten Heymann nach der Befreiung zu Kogons Reportteam entsandte, "um dafür zu sorgen, daß kritische Äußerungen über die Kommunisten unterblieben" (S. 199, Anm. 67). In der Tat zeigt ein Vergleich zwischen dem Report und Kogons SS-Staat, daß Kogon in ersterem Rücksicht auf Empfindlichkeiten der deutschen Kommunisten genommen hat. Ein ganz neuer Abschnitt im SS-Staat behandelt die "Verdienste und Sünden der KP" im Lager (Ausgabe v. 1983, S. 330f; vgl. Niethammer, S. 201 Anm. 71).

Auch die Auswahl der dem Report angehängten Erlebnisberichte wurde mit Rücksicht auf kommunistische Empfindlichkeiten getroffen. Laut Hackett gibt es im Buchenwald-Archiv zwei Sammlungen von insgesamt etwa 120 Erlebnisberichten, deren Zusammentragung Heymann bzw. Otto Halle zugeschrieben wird. Dazu bemerkt Hackett: "[I]n beiden Sammlungen finden sich etwa siebzig Prozent des Materials, das in dem hier vorliegenden Bericht verwendet wurde" (S. 430 Anm. 64). Das impliziert einerseits, daß dreißig Prozent der hier veröffentlichten Berichte nicht im Buchenwald-Archiv vorhanden sind. Andererseits, und dies wird belegt durch sieben Erlebnisberichte, die von Niethammer veröffentlicht wurden (S. 206-234), enthalten die archivierten Sammlungen Berichte mit kompromittierendem Inhalt über die Lagerkommunisten, die Kogons Team wahrscheinlich zur Verfügung standen aber nicht mit in den Report aufgenommen wurden (vgl. S. 207 Anm. 82). Es bleibt weiterhin eine Aufgabe der Forschung, den Problemkomplex der Entstehung und Auswertung der Buchenwald-Erlebnisberichte zu klären, wobei zwei von der kommunistischen Lagerorganisation 1945 und 1946 herausgegebene Publikationen über Buchenwald besondere Beachtung verdienen (vgl. Hackett, S. 46). Trotz solcher Mängel haben wir hier eine ausgezeichnete Quellenausgabe, die sowohl Studenten als auch der interessierten Öffentlichkeit eine spannende und informative Lektüre bietet.

Harold Marcuse
University of California,
Santa Barbara


see also Hackett's Nov. 15, 1997 response to this review


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