• This is the oral version of a paper presented at the Oct. 2004 German Studies Association conference. (ca. 7 pages)
  • A written version with footnotes is also archived on H. Marcuse's Legends about Nazi Germany site, part of his Dachau Concentration Camp Memorial Site web pages
  • English version published as: Joachim Neander, "The Danzig Soap Case: Facts and Legends around 'Professor Spanner' and the Danzig Anatomic Institute, 1944-1945," in: GSR 29:1(Feb. 2006), 63-86. [pdf added 12/13/2010]
  • In Oct. 2006 Dr. Neander e-mailed the following: "I send you as attachments the clip from the Nuremberg movie [film Smirnow] and, in addition, a very interesting clip from a Yiddish broadcasting archives. Solomon Mikhoels toured in May-June-July 1943 the US, together with Itzig Fefer, to raise funds for the Soviets and to create an atmosphere that was friendly to the SU." nuremberg.avi; p4o65mee.ram [I couldn't get either to work, need to follow up]
    • Nuremberg clip: 16 seconds of 1:16 clip played with the DivX codec (in Russian)
    • ram clip couldn't connect to server: rtsp://66.150.15.103/realimpact/soundportraits/yiddish/reunion/mikhoels.smil


Joachim Neander, Kraków (Polen):

"Seife aus Judenfett" – Zur Wirkungsgeschichte einer Urban Legend

Vortrag auf der 28. Konferenz der German Studies Association, Washington D.C.
Oktober 2004

Ende August 2003 stellte Stefan Bratkowski, Publizist aus Warschau, Jahrgang 1933, im Zusammenhang mit der in Polen emotional hoch aufgeladenen Debatte um ein "Zentrum für Vertreibungen" in Rzeczpospolita, einer der führenden polnischen Tageszeitungen, rhetorisch die Frage, ob vielleicht der Vater der 1943 in Westpreußen geborenen Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach als Besatzungssoldat Transporte aus dem KZ Stutthof beaufsichtigt habe mit Leichen, aus deren Fett die Deutschen in Danzig Seife gemacht hätten? Und wer könne garantieren, fährt er fort, dass die kleine Erika nicht mit dieser Seife gewaschen worden sei? Ein Einzelfall, über den man zur Tagesordnung übergehen kann? Ist sich denn die Fachwelt nicht längst darin einig, dass es sich bei den Erzählungen über die Seife, die die Deutschen/die Nazis aus Juden und anderen KZ-Opfern hergestellt hätten, um typische contemporary legends handelt?

Ein Blick ins Internet zeigt jedoch, dass das Thema keineswegs vom Tisch ist. Eine Recherche Ende 2003 in 12 Sprachen lieferte über fünfhundert Websites aus ganz Europa und beiden Amerikas, auf denen erwähnt wird, die Deutschen/die Nazis hätten die Leichen der in den KZs und Vernichtungslagern Ermordeten zu Seife verarbeitet, im Folgenden summarisch als Die Seifenlegende bezeichnet. Auf etwa sechzig Prozent der untersuchten Websites wird dies unhinterfragt als wahr unterstellt. Es sind dies vorwiegend Diskussionsforen, Seiten von Bildungseinrichtungen (Schulen, Hochschulen, Institutionen der Erwachsenenbildung), Memoiren von und Interviews mit Überlebenden der Lager, Festreden zu Gedenktagen sowie Seiten von jüdischen Organisationen. Deutlich aus dem Sample heraus fallen russische Websites mit ca. 10 % und polnische mit über 90 % "Überzeugten".

Zur Illustration nachfolgend drei Zitate:

  • Spanien: Wenn [die Juden] nicht vor Hunger starben, wurden sie in den Gaskammern oder in den Öfen ermordet ... Aus den Verbrennungsresten machte man Seife.
  • Deutschland: Jüdinnen und Juden, Kinder und Greise wurden erschlagen, erschossen, gehenkt und vergast ... Die Nazis verarbeiteten ihre Haut zu Lampenschirmen und ihre Knochen zu Seife.
  • Brasilien: Himmler, der Oberhenker, machte die Konzentrationslager zu Fabriken, die Seife herstellten, wobei sie die Leichen der ermordeten Juden als Rohmaterial verwandten.

Auf den kürzesten Nenner brachte es ein russischer Student, der auf die Frage: "Was ist »Holocaust«"? antwortete: "Holocaust ist, wenn man aus 6 Millionen Juden Seife macht."

Obwohl von der Fachwelt schon lange ad acta gelegt, ist die Seifenlegende also in der öffentlichen Weltmeinung immer noch höchst aktuell. Sie ist auch--wie nicht nur das eingangs erwähnte Beispiel zeigt--Gegenstand von zum Teil mit starken Emotionen geführten Auseinandersetzungen. Auf Dutzenden von Websites schlagen sich Holocaust-Leugner--selbst ernannte "Revisionisten"--und ihre publizistischen Gegner--hier als "Anti-Revisionisten" bezeichnet--die Seifenlegende gegenseitig um die Ohren. Den "Revisionisten" dient sie dazu, die Faktizität des Holocaust und die Glaubwürdigkeit des Internationalen Militärgerichtshofes von Nürnberg grundsätzlich in Frage zu stellen. Unter Hinweis auf dessen Urteilsspruch (in dem die Seifenproduktion unter "Verfolgung der Juden" erwähnt wird) schließen sie:

Easily demonstrable falsehoods like the soap story ... raise doubts about the entire Holocaust legend ... and ... the credibility of the [Nuremberg] Tribunal and other supposedly trustworthy authorities in establishing other, more fundamental aspects of the Holocaust story.

Die "Anti-Revisionisten" stimmen zwar mit ihren "revisionistischen" Gegnern in der grundsätzlichen Einschätzung der Erzählungen von der "Seife aus Judenfett" als contemporary legends überein. Sie weisen aber deutlich auf den offensichtlichen Denkfehler in der Argumentation der "Revisionisten" hin: Ein derart vielfältig dokumentiertes Ereignis wie der Holocaust ist nicht durch Falsifizierung eines marginalen Teilaspekts zu widerlegen.

Der Ursprung der Seifenlegende liegt noch weitgehend im Dunkeln. Generell wird angenommen, sie gehe auf ein Gerücht zurück, das gegen Ende des Ersten Weltkriegs von der Propaganda der Entente aufgebracht wurde: die Deutschen würden die Leichen toter Soldaten in "Kadaververwertungsanstalten" zu Schmierölen und Glyzerin verarbeiten, die Abfälle zu Tierfutter, Dünger und Seife. Die britische Regierung distanzierte sich acht Jahre später offiziell hiervon. Israelische Historiker haben die Ansicht vertreten, die Nazis selbst hätten "dieses Gerücht wiederbelebt" und verbreitet

"as a form of additional sadism ... on their Jewish victims: it was the Nazis who told the Jews they would be made into soap."

Zumindest für Polen, wo der Verdacht nie ganz ausgeräumt worden war, die Deutschen hätten im Ersten Weltkrieg aus Kriegstoten Seife gemacht, ist jedoch gesichert, dass dieses Gerücht unmittelbar nach Kriegsausbruch im September 1939 "wiederbelebt" wurde. Es ist also keineswegs sicher, dass die Polen es von den Nazis gehört haben, es könnte gut auch umgekehrt gewesen sein. Auch im Warschauer Getto (ab Oktober 1940) kamen makabre Witze schon früh auf. Etwa:

Du spinnst wohl - fragt einer der Unglücklichen einen anderen – trinkst Kölnisch Wasser? – Ich möchte nach meinem Ableben Toilettenseife werden - antwortet der Gefragte.

Sie müssen nicht unbedingt von deutscher Seite inspiriert gewesen sein. Vergessen wir nicht, dass die Seifenherstellung im Polen der Vorkriegszeit eine Domäne der Juden war: die Seifenproduktion lag  zu 93 Prozent in jüdischen Händen, sehr zum Leidwesen der "christlichen" Konkurrenz.

Aber auch in Frankreich wurde offensichtlich das alte "Gerücht wiederbelebt". So erzählten etwa im Mai 1940 im französischen Internierungslager Saint Cyprien die dort als "feindliche Ausländer" festgehaltenen deutschen Emigranten, Juden wie nichtjüdische Antifaschisten, einander, dass aus allen hier Internierten nach ihrem Tode Seife gemacht würde.

Weite Verbreitung fand das Gerücht von der Verarbeitung von Juden zu Seife im Jahre 1942, als die Nazis mit der "Endlösung der Judenfrage" Ernst zu machen begannen. Zwei Gründe waren hierfür ausschlaggebend: Einmal das massenhafte "Verschwinden" der "ausgesiedelten" Juden, von denen man in ihren Heimatgemeinden nie mehr wieder etwas hörte. Überlebende der Transporte in die Vernichtungszentren haben mehrfach berichtet, die polnische Bevölkerung habe ihnen unterwegs bei Zughalten höhnisch zugerufen: "Juden zu Seife !"

Ein zweiter Anstoß ergab sich aus der kriegsbedingten Rationierung und zentralen Bewirtschaftung von Seife im Reich und in den besetzten Gebieten. Eine "Reichsstelle für industrielle Fette", abgekürzt RIF, koordinierte die Verteilung der Abfallfette und –öle an die Seifenproduzenten, die ihr Erzeugnis, die "Einheitsseife", mit einer Herstellerkennzahl und der Prägung "RIF" auslieferten. Diese nun wurde im besetzten Polen als Abkürzung für "Rein Jüdisches Fett" gedeutet. Das hätten die Nazis, so der israelische Historiker Yehuda Bauer, ihren Opfern erzählt. Bekanntlich setzten jedoch jene alles daran, ihre Verbrechen geheim zu halten. Anzunehmen, sie hätten auf Seifenstücke, die millionenfach im Reich und in den besetzten Gebieten an die Bevölkerung ausgeliefert wurden, "Rein Jüdisches Fett" prägen lassen und das auch noch überall herumerzählt, ist reichlich gewagt. Gegen eine Urheberschaft von deutscher Seite spricht auch ein philologisches Argument. Die Buchstaben I und J sind im Deutschen im Schriftbild deutlich voneinander unterschieden, nicht aber im Jiddischen, der seinerzeitigen Umgangssprache der polnischen Juden.

Auch im Reichsinneren kursierte überall nach dem Anlaufen der Massendeportationen, also etwa ab Anfang 1942, das Gerücht, die angeblich "in den Osten umgesiedelten" Juden würden zu Seife verarbeitet. Auch makabre Witze wurden hierzu erzählt, selbstverständlich nur hinter vorgehaltener Hand. Sie sind jedoch ein Beleg dafür, dass die deutsche Bevölkerung vom Schicksal der Deportierten mehr wusste oder zumindest ahnte, als man nach Kriegsende bereit war zuzugeben.

Aktenkundig wurden die Seifen-Gerüchte spätestens ab Mitte 1942, wie Raul Hilberg nachgewiesen hat, und zwar im besetzten Polen. Interessanterweise betrifft das erste von ihm herangezogene Dokument vom 29. Juli 1942 keine Juden, sondern volksdeutsche "Asoziale". Hilberg erwähnt weiter einen Bericht aus Lublin: Dort kursiere das Gerücht, "die Polen kommen jetzt genau wie die Juden zur Seifenproduktion dran".

Etwa um dieselbe Zeit gelangten diese Gerüchte, vermittelt über den polnischen Untergrund, nach London und in die USA. Im September 1942 verfasste Rabbiner Dr. Stephen Wise, Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses, eine Denkschrift, in der er auf diese Gerüchte einging. Die New York Times zitierte ihn am 26. November 1942 als Gewährsmann für die Meldung, die Deutschen würden das Fett der Leichen deportierter Juden zu Seife und Schmiermitteln verarbeiten. Ähnliche Nachrichten brachten die Medien alliierter Staaten in den nächsten Monaten noch mehrfach. Sie stießen jedoch bei offiziellen Stellen in England und den USA--und auch in weiten Teilen der USA-Publizistik--auf große Skepsis, die sich auch auf andere, NS-Massenverbrechen betreffende Berichte übertrug. Zu frisch noch waren den Auswertern der Nachrichtendienste die alliierten Propagandalügen von den "Kadaverwertungsanstalten" sowie den Journalisten die späten Entschuldigungen der britischen Regierung im Gedächtnis. Es gehört zur Wirkungsgeschichte der Seifenlegende, dazu beigetragen zu haben, dass man auf alliierter Seite erst dann des Holocaust bewusst gewahr wurde, als es für ein Eingreifen schon zu spät war.

Anders als die Alliierten nahm jedoch Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Denkschrift von Wise sehr ernst und reagierte sofort. Unter Bezug auf diese verlangte er in einem Schreiben an Gestapochef Heinrich Müller vom 20. November 1942 kategorisch:

Sie haben mir dafür zu garantieren, dass an jeder Stelle die Leichname dieser verstorbenen Juden entweder verbrannt oder vergraben werden, und dass an keiner Stelle mit den Leichnamen etwas anderes geschehen kann.

Müller solle überall nachforschen lassen, ob irgendwo ein "Missbrauch" stattgefunden habe, und falls ja, dies ihm, Himmler, "auf SS-Eid" melden. Himmler schloss also die Möglichkeit, dass irgendwo aus den Leichen ermordeter Juden Seife gemacht würde, nicht von vornherein aus.

Als gegen Kriegsende die Lager befreit wurden und die Wahrheit über bisher nicht für menschenmöglich gehaltene Gräueltaten der Nazis ans Licht kam, erlebte auch die Seifenlegende einen Boom. Kaum eine der frühen Publikationen über die Lager--meist aus der Feder ehemaliger Insassen--versäumt, sie zu erwähnen. Von daher hielt sie Einzug in Enzyklopädien, in Sach- und Schulbücher und wurde so integraler Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses zivilisierter Nationen. Jüdische Überlebende sammelten in der ganzen Welt Stücke der RIF-Seife und beerdigten sie feierlich. Vielfach wurden auf diese Gräber auch Grabsteine gesetzt. So etwa in Nizza, rechts vom Eingang des jüdischen Friedhofes, mit der Inschrift:

Diese Urne birgt Seife aus Menschenfett, von den Deutschen aus den sterblichen Resten meiner deportierten Brüder hergestellt.

Auch aus Kuba, den USA, Israel und vor allem aus Rumänien sind solche "Monuments of Soap"--so der Titel eines Dokumentarfilms von Lupu Gutman, Los Angeles--bekannt. In Israel, den USA und vor allem den Ostblockländern gehörte "Seife aus Menschenfett" noch bis vor wenigen Jahren zur Standardausstattung der Museen, in denen an den Holocaust oder die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnert wurde. So wanderte die RIF-Seife in Stutthof erst um die Jahreswende 2001/2002 von den Ausstellungsvitrinen ins Magazin.

Besonders hartnäckig hält sich die Seifenlegende in Polen. Eine sowjetische und eine polnische Kommission, in denen sich weder ein Anatom noch ein Sachverständiger für Seifenherstellung befand, die aber von Angehörigen des sowjetischen NKWD und seines polnischen Pendants UBP geleitet wurden, "entdeckten" Anfang Mai 1945 in einem zwei Monate zuvor von den Deutschen verlassenen Nebengebäude des Anatomischen Instituts der Medizinischen Akademie Danzig eine angebliche "Seifenfabrik". Es handelte sich um das ehemalige Mazeratorium, in dem unter der Leitung des international renommierten Anatomen Professor Rudolf Spanner Skelettpräparate hergestellt worden waren. Ein beim Präparieren anfallendes, seifenähnliches Nebenprodukt wurde offensichtlich im letzten Kriegsjahr vom Institutspersonal gesammelt und institutsintern zu Reinigungszwecken verwendet. In der Begeisterung, hier endlich den lange vergeblich gesuchten "Beweis" für die seit Jahren im Lande umlaufenden Gerüchte gefunden zu haben, die Deutschen hätten Seife aus den Leichen ihrer Opfer hergestellt, ließen sich die Untersuchungskommissionen nicht nur zu bedenklichen Überinterpretationen der vorgefundenen Fakten hinreißen, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch dazu, "der Wahrheit ein wenig nachzuhelfen".

"Professor Spanner" erlangte in Polen landesweite Publizität durch die gleichnamige Kurzgeschichte der populären Schriftstellerin Zofia Nałkowska in dem schmalen Bändchen Medaliony, das von 1946 bis 1999 Pflichtlektüre an allen polnischen Schulen war (seitdem fakultativ) und zum Stoff der Abschlussprüfungen gehörte. Es dürfte kaum einen erwachsenen Polen geben, der--wie der zu Beginn erwähnte Publizist aus Warschau--nicht davon überzeugt wäre, dass die Deutschen in Danzig unter Professor Spanner Versuche "zur industriellen Produktion von Seife aus menschlichem Fett" gemacht hätten, wie der sowjetische Ankläger unter Berufung auf die oben erwähnten Kommissionsberichte im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher formulierte.

Wie schon erwähnt, ging die Seifenlegende auch in das Urteil von Nürnberg ein--eine Tatsache, auf die sich "Überzeugte" und "Revisionisten" gleichermaßen gern berufen und die die "Anti-Revisionisten" herunter spielen möchten. Aber auch sie halten unter Berufung auf die im Nürnberger Prozess von sowjetischer Seite vorgelegten Dokumente die Herstellung von Seife aus Menschenfett in Danzig durchaus für wahrscheinlich bis erwiesen, wenngleich sie deutlich machen, dass sie Juden als "Rohmaterial" sowie eine industriell betriebene Produktion ausschließen.

Nicht nur unter den eingangs erwähnten "Überzeugten", denen man kaum ehrenwerte Motive wird absprechen können, sondern auch an den Rändern der "guten Gesellschaft" hat die Seifenlegende vielfache Wirkung gezeigt. Mit "םינובס" (Seifenstücke) bezeichneten in Israel geborene Juden verächtlich Überlebende des Holocaust, denen sie vorwarfen, sich "wie die Schafe zur Schlachtbank" haben führen lassen. Ende Dezember 2000 demolierten Rowdies mit dem Schlachtruf "Her mit der Auschwitzseife!" die Ausstellungsräume des Jüdischen Museums in Bukarest. Antisemiten drohen öffentlich Juden an, aus ihnen Seife zu machen. So etwa in Argentinien zu Zeiten der Militärdiktatur geschehen, oder auf Amsterdamer Hauswände im Sommer 2002 gesprayt. Im Internet werden in allen Sprachen hässliche "Judenwitze" verbreitet, in denen das Thema "Juden zu Seife" vielfältig variiert wird. Mit dem absurden Vergleich "Hitler machte aus Menschen Seife, und die modernen, liberalen »Fortschrittler« stellen aus Embryonen Kosmetika her" schürte im Juni 2003 eine polnische katholische Tageszeitung Emotionen gegen einen EU-Beitritt des Landes. In der ganzen Welt versuchen immer wieder smarte Geschäftemacher, "Judenseife" oder "Seife aus Auschwitz" an den Mann zu bringen. Ein im Jahre 2002 in Posen auf dem Bahnhof angebotenes Stück "KZ-Seife" war sogar mit einem eingeprägten Davidstern verziert. In letzter Zeit scheinen sich die Angebote zunehmend ins Internet zu verlagern, auf rechtsextremistische Websites, aber auch auf seriöse Auktionshäuser wie eBay.

"Seife" hat einen hohen Symbolgehalt. Sie ist im Bewusstsein der Menschen mit dem Begriff der "Reinigung" untrennbar verbunden. Vor der Erfindung synthetischer Detergenzien, wie sie heute in den Industrieländern überwiegend gebraucht werden, war sie das wichtigste Reinigungsmittel überhaupt und neben Wasser das einzige, um den Körper zu reinigen. "Der Jude" hingegen wurde und wird im alltäglichen Antisemitismus des "christlichen Abendlandes" (nicht nur der Deutschen) seit jeher mit der Vorstellung von "Unreinheit" verbunden. Er ist der "dreckige Jude", selber schmutzig und alles um ihn herum schmutzig machend.

Die Seifenlegende erzählt nun die Geschichte einer magischen Verwandlung--ein in den Märchen und Sagen der Völker immer wiederkehrendes Motiv. Sie erzählt, wie der Jude, Verursacher und Träger von Unreinheit, in Seife, das Reinigungsmittel schlechthin, verwandelt wird. Die von Moishe Postone als das Prinzip Auschwitz formulierte "Vernichtung des Werts" unter Abschöpfung der "letzten Reste des konkreten gegenständlichen »Gebrauchswerts«" findet in der Seifenlegende als Transsubstanziation statt, bei der der Jude, "das Prinzip, das stets verneint", selbst negiert wird. Im Seifenstück der Erzählung ist er im dialektischen Sinne dreifach "aufgehoben": in seiner physischen Existenz vernichtet, zugleich jedoch (auf-)bewahrt und auf eine höhere Seinsstufe, die der Reinheit, hinauf gehoben. Die endgültige und unwiderrufliche Vernichtung des Juden erfolgt genau dann, wenn im Prozess der Reinigung der Gebrauchswert der Seife realisiert wird: wenn Täter und Mitläufer ihre Hände "in Unschuld waschen".

Ob hierin ein Teil dessen liegt, was die Seifenlegende für Opfer wie Täter--und die, die sich jeweils in deren Tradition sehen--gleichermaßen attraktiv macht? Entzieht sich doch der Holocaust, allein schon von seinen Dimensionen her, jeder "Bewältigung", jeder abschließenden "Verarbeitung", und liefert dadurch immer wieder Stoff für Legenden, nach Wierling und Brüggemeier

nur eine andere Ebene von Wirklichkeit: die der kollektiven Deutung von Geschichte, wo diese unverarbeitet blieb.

So drückt die Seifenlegende an einem besonders einprägsamen Beispiel nicht nur Entsetzen über und Abscheu vor den NS-Gräueltaten aus. Sie versucht zugleich auch eine "Erklärung", indem sie verbreitete Stereotype über "die Deutschen" zu bestätigen scheint. Etwa über deren "Ordnungs- und Sauberkeitswahn", der sie buchstäblich "über Leichen gehen" lässt. Oder über deren Fähigkeit, "irgend etwas aus Nichts zu machen" (hier: Seife aus Leichen). Und schließlich, dass ihnen "das alles zuzutrauen ist", wie schon 1917 Außenminister Lord Balfour auf die skeptische Frage eines Unterhaus-Abgeordneten zum Wahrheitsgehalt der Kadaververwertungs-Story antwortete. Kein Wunder also, dass auch ein der Seifenlegende grundsätzlich kritisch gegenüber stehender Wissenschaftler wie Bauer meint:

It is ... clear that had the war continued, the Nazis were certainly capable of turning this into another mass horror.

So wird sich die Seifenlegende noch lange in der öffentlichen Meinung halten, und die Deutschen werden mit ihr leben müssen. Vermutlich noch sehr lange. Schließlich war der Holocaust ein deutsches Projekt, "der Tod ein Meister aus Deutschland".


paper by Joachim Neander, presented Oct. 8, 2004; converted to html by H. Marcuse, Oct. 18, 2004, updated 12/28/06
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