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Each presentation was accompanied by one slide;
Barbara Distel is in the right-hand image on mine.

Von der Monumentalitaet zur Spurensicherung: Dachau seit 1945

Symposium in honor of Barbara Distel:
Dachau/München--Ort und Erinnerung

Munich, Pinakothek der Moderne
July 19, 2008

presentation by
Harold Marcuse

(homepage)

(page created 7/20/2010, last updated xx)


Vortragstext (back to top)

Obwohl ich mich nicht unbedingt über den Anlass unserer heutigen Zusammenkunft freue, freue ich mich doch sehr, auf dieser Veranstaltung zu Ehren von Barbara Distel sprechen zu dürfen. Denn sie hat den Werdegang der Dachauer KZ Gedenkstätte, die ich Ihnen in den nächsten zehn Minuten schildern werde, nicht nur über mehrere Jahrzehnte begleitet, sondern diese Entwicklung als Stätte des Gedenkens auch entscheidend geleitet und geprägt. Und zwar, wie ich meine, wesentlich zum Besseren.

Die Vorrangstellung, die Dachau schon als KZ gehabt hatte, hat es dann auch als Gedenkstätte und nunmehr auch als Denkort gehabt. Und das haben wir in nicht geringem Masse Barbara Distel zu verdanken. Ich möchte ihr persönlich und in unser aller Namen meinen Dank und Anerkennung aussprechen.

[Wir danken Dir, Frau Dr. Barbara Distel.]

Und nun zum Vortrag. Ich habe mir erlaubt, statt eines doch zwei Bilder zu nehmen, die meinen Vortrag thematisieren sollen.

„Von der Monumentalität zur Spurensicherung“ habe ich ihn betitelt.

Damit stelle ich beim Gedenkort selbst eine gegenläufige Entwicklung fest, die gewissermassen in einer Scherenbewegung [zu der heute morgen von Professor Benz geschilderten Entwicklung steht.]
Er hat die Authentizität an den Anfang gesetzt, als die Zeugnisse der massenhaften Verbrechen geradezu überwältigend waren. Am Ende seiner Ausführungen stand die Monumentalisierung des Gedenkens, wie sie etwa in ____________________ [dem Denkmal der ermordeten Juden in Berlin] zum Vorschein kommt.
Heute, meint man, kann kein Projekt gross und aufwendig genug sein.

Das mag in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung schon so sein, aber vor Ort stellen wir eine gegenläufige Entwicklung fest, wovon ich Sie nun überzeugen möchte. Nun zum ersten Bild.

Die erste weltöffentliche Gedenkveranstaltung für das KZ Dachau fand am 9. November 1945 im Dachauer Rathaus statt. Vor Vertretern der US und britischen Besatzungsmächte sprach der kommissarisch eingesetzte Bürgermeister von Dachau, Josef Schwalber. Seine Rede wurde von der BBC und Radio Luxemburg übertragen, sowie auf Wachszylinder aufgezeichnet zur späteren Ausstrahlung in den USA. Dabei wurde ein Denkmalsentwurf der Öffentlichkeit präsentiert. Die Befreier des KZs Dachau hatten den Lokalbehörden aufgetragen, auf der Leiten den frischbegrabenen Toten von Dachau, sowie dem Geschehen im KZ selbst, ein angemessenes Denkmal zu setzen.
Der Entwurf, den Sie hier links sehen, war die erste Vorstellung von deutschen Regierungsvertretern, wie ein angemessenes Gedenken aussehen sollte.

VortragsdiaDer halbkreisförmige Unterbau dieses Entwurfs war 20 meter breit und über 20 meter hoch. Er sollte aus den Trümmern der Stadt München gebaut werden. In der Mitte sollte ein 28 meter hoher Obelisk emporragen, auf dem eine 7m grosse Goldmosaiksonne gesetzt werden sollte. In den Räumen des Unterbaus sollten Gedenktafeln und Wandgemälde untergebracht werden. Steile Seitentreppen führten auf eine Aussichtsebene oben, von der aus das befreite KZ im Vordergrund sichtbar gewesen wäre, und im fernen Hintergrund die Gipfeln der Alpen. Der Architekt beschrieb seinen Leitgedanken wie folgt:

Mein Gedanke war, auf die schwere der Ereignisse nur in den unteren Räumen hinzuweisen, und dann die Besucher dieser Denkstätte auf die Mauern zu führen, die aus den Trümmern von München gebaut werden sollten. Die Besucher wären auf diese Mauern gestiegen, um einen ´befreienden´ Blick auf die Alpen zu finden. Ich glaubte, es hätte gereicht, auf die Schrecknisse des Konzentrationslagers nur in den unteren Räumen zu verweisen, um den Weg zur Freiheit und Erlösung nicht ewig zu versperren.

Am Anfang steht also eines der monumentalsten Entwürfe für ein KZ Denkmal, der je vorgelegt wurde. Nur wenig später kam ein solcher Entwurf für Buchenwald tatsächlich zustande. Aber wir bleiben bei Dachau.

Dieser Entwurf wurde bald wegen ästhetischen und praktischen Bedenken verworfen. Eine Neuauschreibung kam wiederum zu keinem befriedigenden Ergebnis, und das ganze Projekt geriet sehr schnell in Vergessenheit. Erst im Herbst 1949, als die Massengräber auf dem Leitenberg bis zur Unkenntlichkeit überwuchert waren, machte ein sensationeller Fund die Weltöffentlichkeit auf sie aufmerksam. Bei Baggerarbeiten am Fusse des Hügels kamen einige menschliche Skelette zum Vorschein. Obwohl sich nachher herausstellte, das sie nicht mit dem KZ in Verbindung standen, wurde die Welt darauf aufmerksam, dass die deutschen Behörden noch keinen angemessenen Umgang mit Dachau gefunden hatten.

Seit der Befreiung, jedoch, hatten die Überlebenden des Lagers ein kleines Museum im Krematorium betrieben. Um ihr peinliches Versäumnis zu verdecken, nahmen die Staatsvertreter diese Ausstellung für sich in Anspruch, und bauten sie ein wenig aus. Sie vereinnahmten auch die Statue des „unbekannten Häftlings“, die von Überlebenden des Lagers in Eigeninitiative in Auftrag gegeben worden war, und ließ sie in einem Staatsakt einweihen. Eine dritte Ausschreibung für ein Denkmal brachte 175 Entwürfe ein, die ein Journalist wie folgt zusammenfasste:

[sie waren]… modifizierte Kirchen aus jedem Zeitalter, Kraftakte im Heimatstil, durchsichtige Industriehallen, selbst idyllische Biedermeier Gartenpavillions, Bauten wie das Völkerschlachtsdenkmal, und neo-klassische Theater und Ruhmeshallen [waren dabei].

Letzten Endes kam eine stark reduzierte Version von einem Achteckbau—das an das überdimensionierte Tannenbergdenkmal erinnert—zur Ausführung. Da die Aufmerksamkeit der Welt nicht mehr auf das Projekt gerichtet war, wurde sie nicht einmal offiziell eingeweiht. Und nicht nur das: gleich nach der Fertigstellung im Jahre 1953 wurde die Ausstellung im Krematorium sang- und klanglos in einer Nacht- und Nebel-Aktion beseitigt.

Damit komme ich zum ersten Leitprinzip der Entwicklung des KZ Dachaus zur Gedenkstätte: Sich selbst überlassen, wenn niemand von außen hereinschaute, liessen bayerische und lokale Behörden Spuren vertilgen. Wir finden dies immer wieder. Ich nenne Ihnen einige Beispiele über die Jahrzehnte:

  1. 1956 hatten Überlebende „um 5 nach zwölf“ den bereits begonnenen Abriss der KZ-Wachtürme mit knapper Not verhindern können.
  2. 1964 wurden die Häftlingsbaracken sämtlich und ganz abgerissen, obwohl die Überlebenden sich für den Erhalt von wenigstens ein paar         sich eingesetzt haben. Die heutigen, wie Sie wahrscheinlich wissen, sind Nachbauten, die kaum ein Bemühen zeigen, die authentische Bauweise wiederzugeben.
  3. Die Offiziersunterkünfte der SS, die am ehemaligen Eickeplatz standen, wurden Anfang der 80er Jahre abgerissen, als der Vorschlag diskutiert wurde, sie für ein Jugendherberge zu benutzen.
  4. Fabrikhallen im SS-Lager aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wurden wiederum in den 80er Jahren abgerissen, um eine größere Pufferzone zwischen der Bereitschaftspolizei und der Gedenkstätte zu schaffen. Dies sollte verheimlichen, dass das SS-Gelände nicht als Teil der Gedenkstätte erhalten wurde.

Aber es gaben auch gegenläufige Bestrebungen zu den zwiegespaltenen öffentlichen Monumentalisierungsbemühungen und den heimlichen Abrissaktionen der Staatsbehörden. Damit komme ich zum zweiten Leitprinzip der Nachkriegsentwicklung: es war und ist nur dem Einsatz der Überlebenden des KZs zu verdanken, dass Teile des KZs Dachau als Gedenkstätte übriggeblieben sind.

Als 1955 der Landrat von Dachau im bayerischen Landtag den Abriss des Krematoriums vorschlug, mobilisierten sich die Überlebenden, um das zu verhindern, und zwar mit Erfolg. 1956 gründeten sie die internationale Lagergemeinschaft neu, um sich effektiver für den Erhalt des Ortes und die Entstehung einer Gedenkstätte einsetzen zu können. Ich bin mir sicher, dass Sie das Ergebnis dieser Bemühungen kennen. Ich nenne einige Beispiele:

  1. Die Flüchtlinge, die seit 1948 in den Häftlingsbaracken untergebracht waren, bekamen 1964, 16 Jahre später, Wohnungen im neuen Stadtteil Dachau-Ost.
  2. Anlässlich des Eucharistischen Weltkongresses 1960 richteten die Überlebenden, wiederum ohne jede staatliche Unterstützung, eine neue Ausstellung ein.
  3. In den folgenden Jahren handelten sie einen Vertrag mit dem Bayrischen Staat aus, der den dauerhaften Erhalt der Stätte versicherte.
  4. Sie richteten das große Museum mit Archiv und Bibliothek ein, das 1965 fertig gestellt wurde.
  5. Sie ließen das heutige internationale Denkmal auf dem ehemaligen Appellplatz errichten.

Und hier komme ich zum dritten und letzten Punkt. Es war an dieser Stelle, dass Barbara Distel ihre Arbeit an der Gedenkstätte aufgenommen hat. Als gelernte Buchhändlerin war sie für die Einrichtung des Archivs und die wissenschaftliche Begleitung der Ausstellung von der damaligen Leiterin, Ruth Jakusch, hinzugeholt worden. Aber sie hat nicht nur diese Aufgaben erledigt, sondern eine Vermittlerrolle zu den Überlebenden übernommen, die verständlicherweise den deutschen Staatsvertreten oft misstrauisch gegenüberstanden.

Barbara Distel hat sich bei dieser Aufgabe so gut bewährt, dass sie vor 33[4?] Jahren die Nachfolgerin von Ruth Jakusch wurde. In den Jahrzehnten seitdem hat sie dafür gesorgt, dass die KZ-Gedenkstätte Dachau zu einem international renommierten Ort des Gedenkens, des Lernens und der Forschung, und der Spurensicherung wurde.
Dabei mußte sie immer in sehr schwierigen und undankbaren Situationen vermitteln zwischen ihrem staatlichem Arbeitgeber und den eigentlichen Pflegern der Erinnerung in Dachau, den Überlebenden des KZs. Viele solcher Situationen hat sie gemeistert. Ich nenne zum Abschluß nur einige, vom dem dieses zweite Bild zeugen soll:

  1. In den 70er Jahren hat Barbara Distel mit Ruth Jakusch zusammen den ersten Katalog zur Ausstellung fertiggestellt, und in mehreren Sprachen in vielen Auflagen verbreitet.
  2. In den 80er Jahren hat sie das sprunghafte Ansteigen der Besucherzahlen bewältigt. Sie waren um das dreifache von 300.000 auf knapp einer Million angestiegen. Freigestellte Lehrer und dann auch Freiwillige der Aktion Sühnezeichen hat sie mit Feingefühl eingewiesen und unterstützt.Gatehouse with remains of track in foreground
  3. Sie hat, wie mehrfach schon erwähnt, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte des KZs kräftig gefördert, z.B. durch die Gründung der ersten Fachpublikation zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager.
  4. In den 1990er Jahren bis heute hat sie den schwierigen Prozess der Entwicklung und Realisierung der Neukonzeption der Ausstellung und des Aussengeländes durch die Klippen der lokalen und regionalen Politik gelotst.

Dabei erwähne ich nur ein Ereignis, was auf diesem letzten Bild zu sehen ist. Im Winter 2004/2005 hat sie gemerkt, dass Überreste des KZs bei Baggerarbeiten am Neueingang zum Vorschein kamen, die dem Bagger zum Opfer gefallen wären. Gerade noch rechtzeitig konnte sie diese letzte Entfernung von authentischen Spuren verhindern. Es bleibt zu hoffen, die in ihrer Nachfolge solchen Bemühungen Einhalt geboten wird.


Links (back to top)

  • German timeline 1945-present: Zeitleiste 1945-Gegenwart on the Dachau Memorial Site homepage (no English version available as of July 2010)

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