Die BesucherInnen der heutigen Gedenkstätte
in Dachau betreten das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers
durch einen 1965 geschaffenen Mauerdurchbruch. Ihr Weg führt
über die vergrabenen Fundamente eines Gefängnisses für
straffällige SS. Der Blick fällt dann auf zwei langgestreckte
Baracken, die nicht original sind, sondern Nachbauten aus dem
Jahr 1964. Die meisten BesucherInnen gehen dann in das Museum,
das ursprünglich Häftlingsbad und -küche beherbergte,
nach der Befreiung verschiedene Gerichtshöfe, später
eine Lederfabrik und eine Färberei. Am Ausgang des Museums
steht das langgestreckte Internationale Mahnmal von 1968 vor dem
Appellplatz. Früher standen hier Barackenbauten aus den letzten
Kriegsjahren, eine von internierten SS-Männern 1946 erbaute
Kirche, und ein Heizkraftwerk das 1951 für die neuen LagerbewohnerInnen
errichtet wurde.
Der Rundgang durch die Gedenkstätte
führt an 30 "Fundamenten" vorbei, die 1965-66 gegossen
wurden, um die Umrisse der unfundamentierten Häftlingsbaracken
zu markieren. Über diese weite, kahle Fläche hinweg
sind drei Baulichkeiten vor der hinteren Abgrenzungsmauer zu sehen:
Kapellen bzw. Gedenkstätten der verschiedenen Glaubensrichtungen,
die an der Stelle der ehemaligen KZ-Gärtnerei und Desinfektionsbaracke
stehen. Danach wurde dort ein Kindergarten errichtet, der 1961
jedoch der "Gaststätte zum Krematorium" weichen
mußte. Die wiederum wurde am 8. November 1963 von Pionieren
des Bundesgrenzschutzes abgerissen, um Platz für eine jüdische
Gedenkstätte zu machen.
Diese kurzen Hinweise dürften
genügen, um ein Gefühl für das historisch Gewordene
der heutigen Gedenkstätte zu wecken. Die gegenwärtige
Anlage ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen wechselvollen Geschichte
und eines mühsamen Ringens um einen angemessenen Umgang mit
den Überresten einer Einrichtung zur Ausschaltung, Ausbeutung
und Ausrottung der vom NS-Regime Verfolgten. In den tatsächlichen
Nutzungen dieser Überreste spiegelt sich der Kampf um eine
Erneuerung der bundesdeutschen politischen Kultur wider.
Die Geschichte des ehemaligen Konzentrationslagers
Dachau seit 1945 läßt sich in vier Phasen einteilen,
in denen vornehmlich jeweils eine Gruppe über die Verwendungen
des Lagers bestimmte. In der ersten Phase verfügte die US-amerikanische
Armee, die am 29. April 1945 das Lager befreite, über das
Gelände. Nach der Rückführung der meisten ehemaligen
Häftlinge in ihre Heimatländer richtete die Militärregierung
einen Komplex von Internierungslagern für Angehörige
der SS und Funktionäre der NSDAP ein. Ab Januar 1947 wurde
das Lager schrittweise an deutsche Stellen übergeben, so
daß sie im Herbst über wesentliche Teile des ehemaligen
"Schutzhaftlagers" verfügten.
Die nächste Phase stand unter
dem Vorzeichen bayrischer Verwaltungsstellen. Im Herbst 1948 wurde
der Umbau des Konzentrationslagers zu einer Flüchtlingswohnsiedlung
begonnen. Als der Dachauer Landrat im Juli 1955 im Bayerischen
Landtag einen Antrag auf Abriß des Krematoriums stellte,
war die nächste Gruppe schon so weit mobilisiert, daß
sie die Umsetzung weiterer staatlicher Pläne verzögern
bzw. verhindern konnte.
Die ehemaligen Häftlinge führten
jedes Jahr seit 1945 Gedenkveranstaltungen durch. Sie bemühten
sich mit wechselndem Erfolg um die Pflege des Gedenkens an ihre
verstorbenen Kameraden durch die (bundes-)deutsche Öffentlichkeit,
sowie um die Einrichtung und Verbesserung von Bildungseinrichtungen
im ehemaligen KZ, insbesondere Ausstellungen und Museen. Stufenweise,
durch Mobilisierung einer interessierten nationalen und internationalen
Öffentlichkeit gelang es den ehemaligen Häftlingen ab
1956, die Räumung der "Wohnsiedlung Dachau-Ost"
und die Errichtung der Gedenkstätte in der heutigen Form
durchzusetzen. Die Eröffnung des Museums im ehemaligen KZ-Wirtschaftsgebäude
im Mai 1965 markiert den Höhepunkt ihrer Bemühungen.
Nach der Einweihung des internationalen Mahnmals auf dem Appellplatz
im September 1968 traten sie als Initiatoren eher in den Hintergrund.
Bis 1973 gingen die deutschen Besucherzahlen
auf einen absoluten Tiefstand in der Zeit nach 1959 zurück.
Im Vorfeld der Olympiade 1972 in München begannen Jugendliche
und Gruppen aus Dachau, sich für die KZ-Gedenkstätte
und den Umgang mit ihr zu interessieren. In den Jahren von 1973
bis 1979 stieg die Anzahl der bundesdeutschen Schulklassen, die
die Gedenkstätte aufsuchten von 400-500 auf 5000-6000 im
Jahr. Die Aktivitäten der Freiwilligen der "Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste",
der Mitglieder des "Dachauer Forums", des "Fördervereins
internationale Jugendbegegnungstätte" und des Vereins
"Zum Beispiel Dachau" sind während der 1980er Jahre
zu einem festen Bestandteil der pädagogischen Arbeit in dem
ehemaligen Konzentrationslager geworden.
I.
Die Aufklärung der internationalen
Öffentlichkeit über die Zustände im KZ Dachau fing
unmittelbar nach der Befreiung durch Einheiten der US-Armee am
29. April 1945 an. Die ersten Zeitungsberichte von Kriegsberichterstattern
erschienen am 1. Mai in vielen namhaften Zeitungen. Armeefotografen und -filmemacher machten in den ersten Tagen
viele Aufnahmen, und eine Delegation von US-Kongreßabgeordneten
wurde am 2. Mai durchs Lager geführt. Am 3. Mai traf eine
Delegation von 18 US-amerikanischen Chefredakteuren und Verlegern
ein. Sie wurden eigens vom amerikanischen Oberkommandierenden
Eisenhower nach Europa eingeladen, um durch ihre Berichterstattung
die Öffentlichkeit in den USA von dem Ausmaß und der
Authentizität des Greuels zu überzeugen.
Für die Einstellung der US-Amerikaner
zu Dachau waren die katastrophalen Zustände im Lager bei
der Befreiung maßgebend. Der Lagerkomplex war seit Tagen
buchstäblich übersät von Leichen, die langsam in
Verwesung übergingen. Ein Güterzug mit den Leichen von
über 2300 verhungerten Menschen stand seit Tagen auf einem
Abstellgleis im SS-Lager, 2-3000 weitere Leichen im Krematriumsbereich.
Die seit Monaten wütenden Typhus- und Fleckfieberepidemien
forderten noch in den ersten Tagen nach der Befreiung täglich
über 150 Tote.
Die Berichte der Mediendelegation
sind in einem Drittel der US-Zeitungen und einem Viertel der Publikumszeitschriften
erschienen. Da sie auch in Agenturberichte Eingang fanden, resümiert
der Historiker Norbert Frei, daß "auf die eine oder
andere Weise ... fast jeder Amerikaner mit den Nachrichten über
die deutschen Konzentrationslager konfrontiert" wurde. Der
daraus resultierende hohe Bekanntheitsgrad Dachaus in den USA
war und ist ein wichtiger Faktor in den späteren Auseinandersetzungen
um die Gedenkstätte: ein über Europa hinausreichendes
internationales Publikum war von Anfang an vorhanden.
Zur Beseitigung der unidentifizierbaren
Leichen wurde am 3. Mai das Krematorium wieder in Betrieb genommen.
Am 7. Mai beschleunigte sich der Verwesungsprozeß wegen
eines Wetterumschwungs, so daß ca. 2400 Leichen in Massengräbern
bestattet werden mußten. Zu dieser Arbeit wurden Dachauer
Zivilisten strafweise herangezogen. Kolonnen von 12 Fuhrwerken
mit je 30-40 Häftlingsleichen wurden tagelang durch die Stadt
Dachau zum nahegelegenen Leitenberg geführt - ein Bild, das
sich in der Erinnerung vieler Dachauer tief eingeprägt hat.*
Als weitere Strafmaßnahme gegen die Zivilbevölkerung
mußten Dachauer Frauen die 39 Waggons des "Todeszuges"
reinigen. Schließlich wurde am 8. Mai eine Gruppe führender
Bürger aus Dachau durchs Lager geführt, damit eine Fotografengruppe
ihre Reaktionen auf die Zustände im Konzentrationslager dokumentieren
konnte. Gekoppelt mit den unbeschreiblichen Zuständen im
KZ Dachau dürften solche Maßnahmen eine der wesentlichen
Ursachen dafür sein, daß noch heute weite Kreise der
Dachauer Bevölkerung in jeder Erwähnung des ehemaligen
KZs einen Vorwurf hören und deshalb eine stark ablehnende
Haltung gegenüber der KZ-Gedenkstätte einnehmen.
Die Strafmaßnahmen trafen natürlich
auch die SS, sofern sie verhaftet werden konnten. Beispielsweise
mußten SS-Angehörige im Laufschritt den angesammelten
Müll von etwa 30.000 Menschen beseitigen. Doch sollten die
Hauptverantwortlichen in rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren vor
der deutschen und der Weltöffentlichkeit eine ihren Untaten
angemessene Strafe bekommen. Als das Lager sich mit der Repatriierung
der nationalen Häftlingsgruppen leerte, machten die Amerikaner
sich daran, es für die Internierung von deutschen Tätern
einzurichten. Anfang Juli wurde das "War Crimes Enclosure"
(Kriegsverbrecherlager) mit einer Kapazität von 30.000 Häftlingen
in Dachau eingerichtet. Das ehemalige Häftlingslager ("Schutzhaftlager")
wurde "SS Compound" für KZ-Wachverbände und
Mitglieder der Waffen-SS; die Funktionäre der NSDAP und andere
Verdächtigte wurden im SS-Lager und in der KZ-"Plantage"
untergebracht. Bis zum 22. Juli waren schon 8.675 SS-Männer
im Konzentrationslager interniert worden.
Der erste "Dachauer Prozeß"
begann am 15. November 1945 gegen 40 Angeklagte der Dachauer KZ-Verwaltung.
Diese Gruppe schloß nicht nur alle bis dahin gefaßten
Dachauer Hauptverantwortlichen ein, sondern auch einige Minder-
oder Unschuldige, so daß der Eindruck nicht entstehen würde,
das Todesurteil habe in allen Fällen von vorn herein festgestanden.
Bei der Urteilsverkündung am 13. Dezember wurden 36 der Angeklagten
zum Tode verurteilt; 28 Todesurteile wurden im Mai 1946 in Landsberg
vollstreckt. Weitere Prozesse gegen die Verwaltungen und Wachverbände
anderer Konzentrationslager wurden bis Herbst 1947 in Dachau durchgeführt.
Die Anliegen der Amerikaner in diesen
Jahren waren zum Teil auch Anliegen der befreiten Häftlinge.
Besonders bei der Durchführung der Prozesse gegen das KZ-Personal
arbeiteten die zwei Gruppen zusammen. Diese Verbindung war institutionalisiert
in der Dachauer "KZ-Betreuungsstelle", die Anfang Juni
1945 als "International Information Office" in der
Schließheimerstr. 90 eingerichtet wurde. Ihre Adressenkartei
wurde z.B. benutzt, um eine Zeugenliste für die im November
1945 beginnenden Dachauer Prozesse anzufertigen, und ihre Mitarbeiter
waren vermutlich beteiligt an der Zusammenstellung einer Dokumentarausstellung
im Krematorium mit einer Begleitpublikation, die während
der Prozesse im Spätherbst 1945 fertiggestellt wurde.
Die Ausstellung im Krematorium scheint
so angelegt gewesen zu sein, daß sie das Geschehen in Dachau
möglichst drastisch vor Augen führte. Sie zeigte u.a.
lebensgroße Puppen, die, in Häftlings- und SS-Uniformen
gekleidet, "Pfahlhängen" und die Prügelstrafe
im Lager veranschaulichten. Vor dem Krematorium hatte die Militärregierung
ein Schild angebracht:
"This area is being retained
as a shrine to the 238.000 individuals who were cremated here.
Please do not destroy" (Dieses Areal wird als heilige
Stätte erhalten für die 238,000 Menschen, die hier eingeäschert
wurden. Bitte nicht zerstören.)
Wie eine Schlagzeile der Süddeutschen
Zeitung am 23. November 1945 belegt, wurde diese Zahl spätestens
während der Dachauer Prozesse als falsch erkannt (nachweislich
kamen etwa 32.000 Menschen in Dachau um), aber noch Jahrzehnte
danach sind Irrtümer und Streit über die genaue Anzahl
der Toten entstanden.
Die Häftlinge und die Besatzungsmacht
führten auch Gedenkveranstaltungen gemeinsam durch. Die erste
große Gedenkveranstaltung in Dachau am 9. November 1945
stand unter dem Zeichen der bald beginnenden Dachauer Prozesse. Dies wird daran deutlich,
daß die große Trauerfeier im Dachauer Schloß
als "Weltsendung" mit einem US-Leutnant als Moderator
gestaltet wurde. Sie wurde von Radiosendern in ganz Deutschland,
Europa und den USA übertragen. Im Gegensatz zu Feiern in
anderen deutschen Städten, wo die Militärregierung fast
demonstrativ fernblieb, nahmen hohe US-Offiziere daran teil. Ein
Vertreter des Internationalen Häftlingskomitees (Haulot)
war anwesend, wie auch viele Mitglieder der derzeitigen Münchener
und bayerischen politischen Prominenz.
Unter dem noch wachsamen Auge der
Besatzungsmacht beteiligte sich die Stadt Dachau aktiv an jeder
Gedenkfeier. 1946 hielt Bürgermeister Schwalber Ansprachen
auf Gedenkverstaltungen am 10. März, 28. April, 14. September
und 9. November. Bei letzterem konnte er stolz darauf verweisen,
daß "um die Verbundenheit der Dachauer Bevölkerung
mit den Häftlingen [auszudrücken] und insbesondere
das Andenken an den gemeinsamen Freiheitskampf wach zu halten",
der Stadtrat die Benennung von Straßen nach Dachauer Widerstandskämpfern
am 5. November beschlossen hatte.
Schon in dem Jahr etablierten sich
die drei Anlässe, zu denen Gedenkfeiern in den folgenden
Jahrzehnten (z.T. bis heute) in Dachau veranstaltet wurden: der
Befreiungstag, der "Tag der Opfer des Nationalsozialismus"
(2. Sonntag im September), und der 9. November.
Schon Anfang des Jahres 1948 machte
sich der Landtag Gedanken über die weitere Verwendung des
ehemaligen Konzentrationslagers in Dachau. Auf Antrag des sozialpolitischen
Ausschusses wurde am 16. Januar 1948 von allen Parteien einstimmig
beschlossen, daß die Staatsregierung zu beauftragen sei,
"mit der Militärregierung
umgehend Verhandlungen aufzunehmen, um auf dem schnellsten Wege
Lagerobjekte freizubekommen (Dachau) zur Errichtung von Arbeitslagern
für asoziale Elemente. ... [Die] Bedeutung der Arbeitslager
als Stätten der Umerziehung von arbeitsscheuen Elementen
zu willig arbeitenden Menschen"
sei hervorzuheben. Bis in die Formulierung hinein macht
dieses Vorhaben deutlich, daß der Symbolwert des ehemaligen
KZs Dachau in der bayerischen Öffentlichkeit ein völlig
anderer war als in der Weltöffentlichkeit, die das Lager
als einen Ort des Massenmordes durch Hunger, Seuchen, Arbeit und
Gas ansah. Die bayerische Bevölkerung betrachtete es dagegen
keineswegs als eine durch das Blut der Opfer "geheiligte"
Stätte (wie das Schild der US-Amerikaner am Krematorium bekundet
hatte), sondern als einen Ort, dessen schändliche Geschichte
durch neue Nutzungen verdeckt werden könnte. In den 1950er
Jahren gibt es mehrere Beispiele für das behördliche
Bemühen um Vergessen.
Zur Einrichtung eines Arbeitslagers
im ehemaligen Konzentrationslager Dachau ist es letztlich nicht
gekommen, da mit der Verschärfung des Ost-West Konflikts
der Strom der Zuwanderer aus dem Osten sich verstärkte. Nunmehr
beschloß der bayerische Landtag am 29. April 1948, alle
frei werdenden Internierungslager für die Unterbringung von
Flüchtlingen zu benutzen. Im Frühjahr 1948 fanden Massenentlassungen
aus dem Internierungslager Dachau statt, so daß die Flüchtlingsverwaltung
es im September übernehmen konnte. Am 22. September 1948
bewilligte der Landtag drei Millionen DM für den Umbau des
ehemaligen KZs zu einem Wohnlager; am 2. Dezember kamen 2,26 Millionen
DM dazu.
Der Verdrängungswunsch der Behörden
wird nicht nur in der Tatsache der Neuverwendung des Lagers als
Wohnsiedlung sichtbar. Er fand seinen sprachlichen Niederschlag
in den Schriftzeugnissen der bayerischen Behörden, wo die
Rede ausschließlich vom "ehemaligen Interniertenlager"
ist. Nur der Staatskommissar der Verfolgten Philipp Auerbach und
der Flüchtlingsvertreter Egon Herrmann sprachen vom "ehemaligen
Konzentrationslager".
Die fortan von der Flüchtlingsverwaltung
gepriesene "Wohnsiedlung Dachau-Ost" wurde im Laufe
des folgenden Jahrzehnts mehrfach ausgebaut. Industrieunternehmen,
Geschäfte, Gaststätten, Kinos, eine Schule und ein Kindergarten
wurden eingerichtet. Die Lagerstraße wurde geteert, eine
Verbindungsstraße zur Stadt Dachau geschaffen, und die Wasser-
und Stromversorgung erneuert. Während die Bewohner selbst
unter der Leitung von Egon Herrmann ein mustergültiges gemeinnütziges
Wohnbauunternehmen gründeten, um aus dem "Elendslager"
herauszukommen, verlegte die Flüchtlingsverwaltung noch bis
1957, als ehemalige KZ-Häftlinge einen Aufnahmestopp durchsetzten,
Menschen aus anderen Lagern nach Dachau.
Das aktive Überdecken der Erinnerung
an das KZ Dachau war begleitet von einem passiven Vergessen-Lassen.
Das wird an den Vorgängen um die Massengräber auf der
Leiten 1949 deutlich. Anfang September 1949 wurde bei der Ausbaggerung
von Schweißsand am Hang des Hügels ein Massengrab aufgedeckt.
Ein ehemaliger Häftling sah die Knochen und machte die Presse
darauf aufmerksam. Am 9. September machte der Knochenfund Schlagzeilen
in den USA, und der US-Landkommissar schickte eine offizielle
Anfrage an Ministerpräsident Ehard.
Die genaue Lage der Massengräber,
die die SS 1944/45 und die US-Armee im Mai 1945 angelegt hatten,
wurde durch Stichgrabungen festgestellt. Im Landratsamt wurden
genaue Lagepläne wiederentdeckt. Die angenommene Zahl der
Leichen schwankte zwischen 3000 und 20.500 - tatsächlich
waren es 6228. An Ort und Stelle befanden sich nur ein Holzkreuz
und ein Davidstern - keine erklärenden Hinweise. Während
die Stadt Dachau und die bayerische Staatsregierung sich die Verantwortung
für die Vernachlässigung der Gräber gegenseitig
zuschoben, versuchte ein Untersuchungsausschuß des US-Landkommissars,
Klarheit in die Angelegenheit zu bringen.
Was war seit 1945 auf der Leiten
geschehen? Im Auftrag der Militärregierung wurde im Sommer
1945 ein Wettbewerb für ein Denkmal ausgeschrieben. Wegen
heftiger Kritik an dem im Oktober von den bayerischen Behörden
ausgewählten Entwurf wurden die Bauarbeiten im November eingestellt.
Während das Kultusministerium sich um einen neuen Entwurf
bemühte, ließ die Dachauer Stadtverwaltung das Holzkreuz
und den Davidstern aufstellen und Blumen anpflanzen. Doch nach
der Währungsreform im Juni 1948 hatte die Stadt keine Mittel
für die pflegerische Arbeit, so daß die Anlage langsam
verkam.
Die Einsendungen zu zwei weiteren
Wettbewerben wurden 1946/47 vom Kultusministerium verworfen, und
das Denkmalsprojekt blieb schließlich in einer Behördenschublade
in München liegen. Diese "Vergeßlichkeit"
mag sogar vorsätzlich gewesen sein, denn die Behörden
reagierten nicht, als überlebende Häftlinge im Frühjahr
1949 sich um die Bereitstellung von Landesmitteln für die
Anpflanzung eines Ehrenhains bemühten.
Der "Fall Leitenberg" interessierte
auch die französische Öffentlichkeit. Zwei Delegationen
prominenter ehemaliger Dachau-Häftlinge besichtigten die
Baggerarbeiten und die Massengräber und ergänzten den
Bericht des französischen Außenministers Schumann vor
der Nationalversammlung am 13. Dezember 1949. Dabei verpflichtete
sich Schuman dafür zu sorgen, daß die Bundesrepublik
Gräber von NS-Opfern nicht aufheben dürfe. Die Vorschrift
wurde in einer Zusatzerklärung zu den Pariser Verträgen
aufgenommen, die im Mai 1955 in Kraft traten - gerade noch rechtzeitig,
um die geplante Schließung des Dachauer Krematoriums zu
verhindern. Davon wird weiter unten die Rede sein.
Die politische Brisanz des Vorfalls
für die bayerische Staatsregierung wird u.a. an dem großen
Aufwand deutlich, mit der sie die Herrichtung der Stätte
mit vorläufiger Einweihung am 16. Dezember 1949 betrieb.
Die Konsulate Frankreichs, der USA, Großbritanniens und
der Tschechoslowakei waren vertreten; Bundesflüchtlingsminister
Lukaschek, Landtagsabgeordnete, Senatoren, Vertreter der Parteien
und der Häftlingsorganisationen waren außerdem anwesend.
Trotz solcher Bemühungen blieb die internationale Öffentlichkeit
zunächst kritisch. Die Ergebnisse der Regierungsuntersuchung
erschienen am 19. Januar 1950 mit Schlagzeilen wie "Kein
Verschulden am Leitenberg" und "Zusammentreffen widriger
Umstände", aber sie wurden von maßgeblichen Kreisen
nicht anerkannt. Sowohl der US-Landkommissar wie der französische
Generalkonsul wie auch die "Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes" (VVN) ließen kritische Stellungnahmen
verlauten.
Die VVN hatte sich schon 1948 beim
Staat unbeliebt gemacht, als sie Anspruch auf die von Häftlingen
geschaffene aber nach einer alliierten Direktive dem Staat zufallende
KZ-"Plantage" erhob. Spätestens während des
"Leiten-Skandals" wurde ihre Ausgrenzung durch den Staat
offensichtlich. Im Zuge des sich verschärfenden Ost-West
Gegensatzes verließen viele Verfolgtenorganisationen 1948/49
die VVN. In München formierten sie sich 1949 neu im "Landesrat
für Freiheit und Recht". Philipp Auerbach, der als staatlicher
Repräsentant der ehemals Verfolgten fungierte, trat im Mai
1949 aus der VVN aus und wurde Mitglied des Landesrats. Die "Arbeitsgemeinschaft
Dachau" innerhalb der VVN mußte ihre für den 30.
April geplante Gedenkveranstaltung vorverlegen, weil Auerbach
an dem Tag eine Staatsfeier im Lager durchführen wollte,
um das "Denkmal des unbekannten Häftlings" vor
dem Krematorium zu enthüllen. Doch das Kräfteverhältnis
der beiden Gruppen war noch unentschieden.
Zu den Veranstaltungen des "kommunistischen
Konkurrenzunternehmens" (Auerbach) am 16. April 1950 auf
dem Dachauer Marktplatz und auf der Leiten waren etwa 1000 ehemalige
Häftlinge aus der Bundesrepublik, der DDR, Frankreich und
Österreich gekommen. Am 30. April war die Beteiligung an
der vom Staat ausgerichteten Feier wesentlich geringer, dafür
umso prominenter: anwesend waren u.a. der österreichische
Bundeskanzler Figl, Justizminister Michelet aus Frankreich, US-Landkommissar
Bolds, Bundesflüchtlingsminister Lukaschek und Ministerpräsident
Ehard.
Die Bemühungen der bayerischen
Staatsregierung um ihren Ruf waren nicht auf diese Feier beschränkt.
Die 493 KZ-Begräbnisstätten in Bayern wurden zusammengelegt
und neugestaltet. In zwei Tagen im Juni weihte Auerbach im Fließbandverfahren
35 KZ-Friedhöfe ein. Das Landesentschädigungsamt zahlte
in der zweiten Jahreshälfte 1950 12.000 DM an das ("nichtkommunistische")
Internationale Häftlingskomitee aus, das am 29. April von
Albert Guerisse in den Räumen des Landtags neugegründet
worden war. Für die Neugestaltung des Leitenfriedhofs wurde
die enorm hohe Summe von 650.000 DM veranschlagt. Am "Tag
der Opfer des Faschismus", dem 10. September 1950, wurde
eine von Auerbachs Mitarbeiter Erich Preuss neugestaltete Ausstellung
im Krematorium eröffnet und eine überarbeitete Version
der Begleitpublikation der Öffenlichkeit präsentiert.
Eine Zufahrtsstraße vom Krematorium zur Alten Römerstraße
wurde erbaut, damit Besucher das US-Militärgelände in
der ehemaligen SS-Kaserne nicht mehr betreten mußten.
Solche ungewöhnlichen Maßnahmen
dürfen nicht als Zeugnisse des hohen Ansehens der ehemals
Verfolgten in der bundesdeutschen Öffentlichkeit gewertet
werden. Vielmehr war Dachau ein Dorn im Auge des Staates, und
sobald es nicht mehr in den ausländischen Schlagzeilen war,
versuchte der Staat wieder, es aus der öffentlichen Erinnerungspflege
verschwinden zu lassen. Die Pläne der Arbeitsgemeinschaft
Dachau für eine Gedenkfeier im April 1951 wurden nach Möglichkeit
sabotiert: ihr wurde die Vorführung eines Films zum Jahrestag
der Massenverhaftungen im März 1933 verboten, und ihre Gedenkfeier
am 15. April wurde öffentlich als "kommunistisch"
diffamiert. Anstatt eine offizielle Gedenkfeier für die KZ-Opfer
zum 29. April 1951 durchzuführen, war die Staatsregierung
damit beschäftigt, vom 28. April bis zum 5. Mai eine "Gedenkwoche
für die deutschen Kriegsgefangenen" zu veranstalten.
In dieser Zeit wurde sowohl die VVN als auch die Arbeitsgemeinschaft
Dachau und der "Arbeitsausschuß der Dachauer KZ-Häftlinge"
von der Münchener Polizei überwacht.
Im nächsten Jahr fand eine Medienkampagne
gegen die Ausstellung im Krematorium statt. Ein Redakteur der
"Süddeutschen Zeitung" besuchte im Januar 1952
die Gedenkstätte im Krematorium. Sein langer Bericht schloß
mit den Worten: "Es muß etwas geschehen...". Der
begleitende Kommentar ließ keinen Zweifel an der Bedeutung
des "etwas": jede Erinnerung an das KZ sollte verschwinden.
Der Artikel wurde bundesweit vielfach nachgedruckt, und der Staat
verstand diesen gewaltigen Wink von den Medien. Um die Ausstellung
räumen zu können, mußte die Anlage jedoch aus
der Zuständigkeit des verfolgtennahen Landesentschädigungsamts
genommen werden.
Nach dem Skandal um die Leiten-Gräber
waren die Dachauer Gedenkstätten im Juni 1950 aus der Verantwortung
der "Staatlichen Verwaltung der bayerischen Schlösser,
Gärten und Seen" genommen und unter die Obhut des Landesentschädigungsamts
gestellt worden. Im Oktober 1950 und wiederum im Januar 1951 beschloß
der Ministerrat, an dieser Regelung festzuhalten und die "Entwicklung
abzuwarten".
Im Herbst 1952 war es dann anscheinend
so weit, und die Schlösser- und Seenverwaltung bekam die
Anlage zurück. Bei der Gedenkfeier am 30. April 1953 beschwerten
sich die ehemals Verfolgten, daß amtliche Stellen sich erstmals
überhaupt nicht mehr beteiligten. Kaum war der Protest ohne
Aufsehen verhallt, trat die Schlösserverwaltung in Aktion.
Am 12. Mai 1953 wurde die Ausstellung auf recht grobe Weise geräumt.
Die Entfernung der Ausstellung scheint
dem Verlangen nach Vergessen nicht genügt zu haben. Angeblich
um den Ruf Dachaus vor gehässiger Propaganda über Vergasungen
zu schützen, aber vermutlich eher, um den Strom der BesucherInnen
weiter einzudämmen (von Juni bis November 1954 kamen 45.000
BesucherInnen, davon über 75% aus dem Ausland), beantragte
der Dachauer Landtagsabgeordnete Heinrich Junker (CSU) am 27.
Juli 1955 die Schließung des Krematoriumsgeländes.
Ein Sturm der Entrüstung aus Kreisen der ehemals Verfolgten
brach los, aber der Antrag hatte auch seine Befürworter.
Der Landwirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident
Baumgartner (BP) forderte Anfang August auf dem Dachauer Volksfest,
daß "das Krematorium verschwinden" solle, um mit
der "Diffamierung des Dachauer Landes" Schluß
zu machen. Wie Junker meinte er, ein stilles Denkmal auf der Leiten
sei der geeignete Weg, der Nazi-Verbrechen zu gedenken.
Landrat Junker mußte jedoch
am 20. September 1955 seinen Antrag zurückziehen, als bekannt
wurde, daß das Zusatzabkommen zu den Pariser Verträgen
die Unantastbarkeit von Grabstätten von Opfern des NS-Regimes
festlegte. Kurze Zeit später ließ er sämtliche
Wegweiser zur Gedenkstätte entfernen, wie auch die Originalbeschriftung
"Brausebad" an der Gaskammer.
III.
Der Grundstein zur Offensive der
ehemaligen Häftlinge gegen die staatlichen Beseitigungsbemühungen
wurde 1953 gelegt. Am 6./7. Juni 1953 wurde eine internationale
Pilgerfahrt von der Arbeitsgemeinschaft Dachau durchgeführt,
an der Kameraden aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden und
Österreich teilnahmen. Im Dachauer Schloß standen die
Bundesdeutschen ihren ausländischen Kameraden Rede und Antwort
über die neuerlichen Entwicklungen in ihrem Land (Remilitarisierung,
Renazifizierung) - das Protokoll der Sitzung ist ein erschütterndes
Dokument der Verbraunung der jungen Republik. Für den 29.
April 1955 wurde eine Zusammenkunft aller ehemaligen Dachauer
Häftlinge beschlossen. Das internationale Verbindungsnetz
verdichtete sich in der folgenden Zeit. So trafen sich z.B. viele
ehemalige Dachauer Häftlinge bei der Eröffnung eines
Museums in Buchenwald im April 1954. Der Kongreß der "Foederation
internationale des Résistants" im Dezember 1954 in
Wien beschloß, ihren nächsten Kongreß zum 10.
Befreiungstag 1955 in Dachau abzuhalten.
Obwohl diese Veranstaltung am 7./8.
Mai ein großer organisatorischer und publizistischer Erfolg
war, mußte harte Arbeit geleistet werden, bevor die Distanz
zwischen den antikommunistischen und den kommunistisch orientierten
ehemaligen Häftlingen überbrückt werden konnte.
Der "Landesrat für Freiheit und Recht", der die
Unterstützung der SPD (Hoegner), CSU (Hundhammer), FDP, israelitischen
Kultusgemeinden und kirchlicher Kreise (Neuhäusler) hatte,
lehnte die gemeinsame Veranstaltung einer Feier ab. So führte
er seine eigene Feier am 24./25. April mit prominenten Staatsvertretern
(Ministerpräsident Hoegner, Landtagspräsident Ehard)
durch.
Die Dachauer Häftlingsorganisationen
verbanden ihre Feier zwei Wochen später mit einer Sitzung
zur Neugründung des Internationalen Häftlingskomitees
(Comité Internationale de Dachau, CID) von 1945 - diesmal
auf breiter Basis, im Gegensatz zur Neugründung im April
1950. Die deutsche Lagergemeinschaft bemühte sich auch um
die Gunst der Dachauer Bevölkerung - und ihre Arbeit blieb
nicht ohne Wirkung. Mit weit über 1000 TeilnehmerInnen und
sehr positiver Presseberichterstattung war die Veranstaltung ein
voller Erfolg.
In mühsamer Kleinarbeit wurden
in den nächsten Jahren Personen in Schlüsselpositionen
für die Errichtung einer Gedenkstätte in Dachau gewonnen.
Ein wichtiger Bündnispartner war Leonhard Roth, derzeit Kurat
im "Wohnlager Dachau-Ost". Roth war ein ehemaliger Dachau-Häftling,
der seit der Befreiung im Lager geblieben war, zuerst als Pfleger
von Typhuskranken, dann als Seelsorger für die internierten
SS, und schließlich als Gemeindegeistlicher für die
NeubürgerInnen aus dem Osten. Roth hatte sich von Anfang
an für das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
eingesetzt. Sein Protestbrief gegen die Schließung des Krematoriums
war der erste, der beim Ministerpräsident einging.
Doch stand Roth fest auf der Seite
des antikommunistischen Landesrats für Freiheit und Recht
und lehnte alle Pläne für ein Museum ab. Als das CID
im April 1956 den Abriß sämtlicher Nachkriegsbauten
auf dem Appellplatz forderte, schrieb Roth, der im Herbst 1946
den Bau einer Holzkirche neben dem Jourhaus durch internierte
SS initiiert hatte, einen offenen Protestbrief, der weite Verbreitung
fand. Otto Kohlhofer trat als ehemaliger Mit-Häftling an
ihn heran und konnte ihn für die Sache der Gedenkstätte
gewinnen. Fortan nahm das Komitee Abstand vom Abriß der
Kirche, und Roth wurde Vertreter der Geistlichen im CID. Der Nutzen
eines Bündnispartners "vor Ort" zeigte sich im
Juli 1957, als Roth den vollständigen Abriß einiger
Wachtürme durch die Baubehörde verhindern konnte. Weitere
Personen, die Otto Kohlhofer auf der Ebene "Häftling
zu Häftling" für die Gedenkstätte gewinnen
konnte, waren Landwirtschaftsminister Hundhammer und Weihbischof
Neuhäusler.
Durch gezielte Vorbereitung fand
die Befreiungsfeier am 29. April 1956 ein breites Echo in der
Öffentlichkeit. Ansprachen wurden gehalten von Vertretern
aus sechs Ländern. Vertreter der BewohnerInnen des ehemaligen
KZs kamen zur CID-Versammlung und es wurde beschlossen, gemeinsam
vorzugehen bei der Forderung nach der Räumung des Lagers.
Ein Transparent wurde im Lager aufgehängt mit der Aufschrift:
"Wir wollen raus aus den KZ-Baracken in menschenwürdige
Wohnungen zu Preisen, die wir bezahlen können." Die
deutsche Lagergemeinschaft wurde neu gegründet, und das regelmäßige
Erscheinen der "Mitteilungen" der Lagergemeinschaft
begann. Ein Buch von dem ehemaligen Häftling Nico Rost, "Ich
war wieder in Dachau", erregte viel Aufsehen.
Die erste Besprechung zwischen dem
CID und der Staatsregierung fand am 7. April 1956 statt. Der ehemals
Verfolgte Dr. Panholzer vom Finanzministerium bejahte zwar eine
Verpflichtung des Staates zum Erhalt und Zugänglichmachung
der Anlage (die sowieso in den Pariser Verträgen vorgeschrieben
war), legte aber dar, daß der Staat keine finanziellen Verpflichtungen
übernehmen könne. Um diese starre Position zu durchbrechen,
plante das CID eine große Pilgerfahrt mit der Grundsteinlegung
des künftigen Mahnmals für September 1956. Als Vertreter
der Staatsregierung enthüllte Panholzer den Stein, der heute
unter Glas vor dem Internationalen Mahnmal steht.
Trotz aller Bemühungen trat
danach eine gewisse Stagnation ein. Die von Ministerpräsident
Hoegner im März 1956 versprochene Auflösung des Wohnlagers
wurde nicht umgesetzt, weil der Staat sich weiterhin weigerte,
finanzielle Verpflichtungen einzugehen. Trotz kleiner Fortschritte
(1958 wurden die 1955 entfernten Hinweisschilder wiederaufgestellt
und ein Aufnahmestopp für das Wohnlager verfügt), und
gut besuchter Gedenkveranstaltungen war es erst ein persönliches
Anliegen Weihbischof Neuhäuslers, das den Stein erneut ins
Rollen brachte.
Der Anstoß zu Neuhäuslers
Projekt kam aus dem Ausland. Nachdem Captain Ryder Cheshire, ein
Beobachter beim Bombenabwurf über Hiroshima, mit 36 englischen
Priestern zum 20. Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September
1959 Dachau besuchte, sah Neuhäusler die Notwendigkeit einer
offiziellen religiösen Gedenkanlage in Dachau. Neuhäusler
wollte während des 37. Eucharistischen Weltkongresses in
München eine Veranstaltung im ehemaligen KZ Dachau durchführen.
Für die internationalen Besucher sollte nunmehr eine Gedenkkapelle
geschaffen werden.
Die Entstehung der Kapelle ist ein
Beispiel dafür, wie groß die öffentliche Beteiligung
am Ausbau der Gedenkstätte sein konnte, wenn sie von der
richtigen Stelle gefordert wurde. Innerhalb kurzester Zeit gelang
es Neuhäusler, einen Entwurf von Professor Josef Wiedemann
(TU München) zu bekommen und eine Spendensammlung zu initiieren.
Obwohl die Bauarbeiten erst Ende April 1960 begannen, war die
Kapelle rechtzeitig für die Weihe am 5. August fertig. In
größter Eile wurde eine Ausstellung im Krematorium
eingerichtet, die am 30. Juli 1960 eröffnet wurde. Bei der
Weihe der Kapelle, die den Namen "Todesangst Christi"
erhielt, waren am 5. August 1960 etwa 50.000 Menschen im Lager
zusammengekommen - wohl das erste und einzige Mal, das die ständige
Belegung der letzten Kriegsmonate übertroffen wurde.
Bei der Einweihung gab es auch einige
Mißklänge, die die gegensätzlichen Meinungen zur
Einrichtung einer KZ-Gedenkstätte deutlich machten. Dazu
gehörten die Teilnahme des NS-Reichsbankpräsidenten
Hjalmar Schacht an der Einweihung (sogar als Ehrengast Neuhäuslers
in der ersten Sitzreihe), die Behauptung eines ehemaligen Wehrmachtsgenerals,
die Krematoriumsöfen seien von den Amerikanern nach dem Krieg
erbaut worden, und Hakenkreuzschmierereien im Krematorium am 15.
August.
Folgenschwerer war eine mißverständliche
Äusserung des Dachauer Bürgermeisters Hans Zauner über
die Gründe für die Inhaftierung im KZ, die zur Zuspitzung
des Konflikts zwischen Zauner und Leonhard Roth führte. Schon
im November 1959, als Zauner dem Stadtrat vorschlug, Wohnungssuchende
in einige der inzwischen leer gewordenen KZ-Baracken unterzubringen,
hatte Roth in einem offenen Brief heftig protestiert. Daraufhin
belegte ihn das erzbischöfliche Ordinariat mit strenger Schreibzensur.
In einer von der bundesdeutschen Lagergemeinschaft veranstalteten
öffentlichen Protestversammlung wegen Zauners Äusserung
kritisierte Roth Zauner und den Dachauer Stadtpfarrer aufs schärfste.
Am 25. März wurde Roth zwangsbeurlaubt und zum 30. Juni seines
Postens enthoben. Am 24. Juni beging er Selbstmord. Nach seinem
Tod wurde die von ihm erkämpfte Zusicherung der Erhaltung
der Kirchen auf dem Appellplatz rückgängig gemacht.
Mit Roths Selbstmord war einer der
leidenschaftlichsten Verfechter der neuen Gedenkstätte verloren,
aber inzwischen war eine Organisation geschaffen worden, die die
Verwirklichung unabhängig von Einzelnen machte. Für
das Gedenkstättenkuratorium hatte Otto Kohlhofer im Frühjahr
1959 den ehemaligen Dachau-Häftling Landwirtschaftsminister
Hundhammer gewonnen, der als längjähriges Mitglied des
Kabinetts hohes Ansehen und erheblichen Einfluß genoß.
Mit tatkräftiger Unterstützung Hundhammers trat am 5.
November 1959 die erste Sitzung zusammen. Das Kuratorium tagte
mit etwas wechselnder Besetzung unter der Federführung Kohlhofers
und Hundhammers bis zur Einweihung des internationalen Mahnmals
im September 1968.
Mit dem 30. Jahrestag der nationalsozialistischen
Machtübernahme und dem 25. Jahrestag der Pogrome im November
1938 war das Jahr 1963 zwar ein besonderes "Gedenkjahr",
aber die hohe Beteiligung an den Gedenkfeiern unterschied sich
unwesentlich von der der Jahre 1961-1965. Zum Jahrestag der Eröffnung
des KZs am 22. März veröffentlichte Weihbischof Neuhäusler
einen Spendenaufruf zum Bau eines "Sühneklosters"
an der nördlichen Begrenzung des Lagers. Der Grundstein zu
dem vom Architekten der Todesangst-Kapelle entworfenen Gebäude
wurde am 28. April 1963 im Beisein von vielen prominenten Christen
und Häftlingsvertretern geweiht. Wie schon beim Eucharistischen
Weltkongreß brachten Sonderzüge aus München mehrere
Tausend Teilnehmer direkt in das Lager und auf die Gleise, wo
bei der Befreiung der "Todeszug" gestanden hatte.
Am 31. Juli 1963 wurde auf der Leiten
die italienische Kapelle "Maria Regina Pacis" zum Andenken
an alle italienischen Opfer deutscher Konzentrationslager in einer
großen Veranstaltung mit Italiens Staatspräsident Segni,
Bundespräsident Lübke und Ministerpräsident Goppel
eingeweiht.
Den 9. November 1963 nahm die Evangelische
Kirche Deutschlands (EKD) zum Anlaß, in der kleinen "Gnadenkirche"
auf dem Appellplatz zu Spenden für einen Kirchenneubau in
der Gedenkstätte aufzurufen. Die Predigt von Präses
Wilm mit persönlichen Erlebnissen aus seiner Haftzeit im
KZ stand der Ansprache Neuhäuslers bei der Klostergrundsteinlegung
keineswegs nach.
Am Abend des 9. November fand die
zur Tradition gewordene Gedenkveranstaltung der Gewerkschaftsjugend
und des Bayerischen Jugendrings (BJR) mit 5000 TeilnehmerInnen
statt. Die erste solche Gedenkveranstaltung hatte 1956 nach einem
Anstieg neonazistischer Aktivitäten stattgefunden; die Beteiligung
stieg sprunghaft an von 500-2000 Jugendliche vor 1961, auf 3000-7000
danach.
1964 riß die Bautätigkeit
in Dachau nicht ab. Am 1. Mai weihte der "Landesverband der
jüdischen Verfolgten und KZ-Invaliden" ein Denkmal auf
dem Waldfriedhof ein. Am 3. Mai folgte die Enthüllung eines
Denkmals der Lagergemeinschaft auf der SS-Schießstätte
in Hebertshausen, wo mehrere Tausend sowjetische Kriegsgefangene
erschossen worden waren. Angesichts der damals vorherrschenden
antikommunistischen Stimmung verdient die Tatsache besondere Beachtung,
daß neben Martin Niemöller der sowjetische KZ-Veteran
Wadim Sobka eine Ansprache im strömenden Regen vor etwa 1000
ehemaligen Häftlingen hielt.
Am 22. November 1964 wurde das Kloster
"Heilig Blut" in Anwesenheit vieler ehemaliger Häftlinge
und vieler prominenter Politiker eingeweiht. In seiner Predigt
sagte Kardinal Döpfner, das stille Beten der Schwestern alleine
sei nicht genug: `Es geschehen auch in einer Demokratie Dinge,
die dem Geist von Dachau nicht unähnlich sind. ... Die Schwestern
sollten nicht nur Sühne leisten, sondern auch ihr Gebet in
die "zuchtlose und opferscheue" Welt hinausschicken'.
Im Frühjahr 1965 wurde fieberhaft
an der Fertigstellung der Gedenkstätte gearbeitet. Die Belegung
der "Wohnsiedlung" war seit Mitte der 1950er Jahre von
über 2000 auf einige Hundert gesunken, obwohl die endgültige
Umsiedlung aller Lagerbewohner seit 1962 immer wieder hinausgeschoben
worden war. Seit 1964 wurden die leergewordenen Baracken sofort
nach Auszug der Bewohner abgerissen; im April 1965 wurden die
letzten beiden Baracken unter dem Protest der "als sogenannte
Asoziale" eingestuften Bewohner geräumt. Die Zeit war
inzwischen zu knapp geworden, um alle Barackenumrisse in Beton
nachzugießen (10 von 22 waren bei der Einweihung fertig),
aber die zwei rekonstruierten Baracken konnten rechtzeitig fertiggestellt
werden. Der bayerische Staat gab 4.000.000 DM für die Herrichtung
des Schutzhaftlagergeländes aus, und 2.000.000 DM für
das Museum im ehemaligen KZ-Wirtschaftsgebäude. Ruth Jakusch,
die seit April 1963 hauptamtlich für das CID gearbeitet hatte,
stellte zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus ehemaligen Häftlingen
und Fachberatern die Ausstellung nach den Konzeptionen des CID
zusammen und wurde erste Leiterin der Gedenkstätte.
Am 1. Mai begann der Auftakt zur
Gedenkstätteneinweihung mit einem "Errettungsgottesdienst"
auf dem Petersberg bei Dachau und anderen Veranstaltungen der
KZ-Priestergemeinschaft. Am 8. Mai legte Präses Scharf den
Grundstein zur evangelischen Versöhnungskirche, und am 9.
Mai versammelten sich 640 ehemalige Häftlinge aus 14 Ländern
und mehrere Tausend Menschen auf dem Appellplatz für die
Museumseröffnung. Minister Hundhammer, der ehemalige Häftlingsarzt
Frantisek Blaha und der Präsident des CID, Guerisse, hielten
Ansprachen. Zum Schluß verlas Dr. Ernst Braun von der Lagergemeinschaft
ein Manifest der ehemaligen Häftlinge, in dem unter anderem
scharfe Kritik an der bevorstehenden Verjährung der Nazi-Kriegsverbrechen
in der Bundesrepublik geübt wurde.
Nach der Fertigstellung des Museums
verblieb neben der Errichtung des internationalen Mahnmals auf
dem Appellplatz die Fertigstellung der religiösen Gedenkanlage
am Nordende des Lagers. In den Monaten nach der Einweihung der
katholischen Kapelle im August 1960 war nämlich die Errichtung
einer jüdischen Synagoge und eines evangelischen Gotteshauses
dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern
bzw. dem Rat der EKD vorgeschlagen worden. Der Landesverband beschloß
schon im März 1961, den Erbauer der Synagogen in Düsseldorf
und Hannover, den Frankfurter Architekten Hermann Guttmann, mit
der Ausarbeitung eines Entwurfs zu beauftragen. Gleichzeitig wurde
ein Spendenaufruf an jüdische Menschen und Organisationen
im In- und Ausland beschlossen, so daß im Sommer 1964 der
Grundstein gelegt werden konnte. Die Bauarbeiten gingen jedoch
sehr langsam voran, so daß die Einweihung erst am 8. Mai
1967 stattfand.
Die Evangelische Kirche hatte sich
etwas schwerer getan mit der Entscheidung, eine Kapelle in Dachau
zu bauen. Im Herbst 1960 ließ sie erst einmal feststellen,
welche evangelische Gedenkstätten und Ehrenmale es in der
Bundesrepublik schon gab. Im Mai 1961 kam sie zu dem Ergebnis,
daß der Bau einer Kapelle in Dachau "nicht in Frage"
komme, u.a. weil die katholische Kapelle keine "ausgesprochen
konfessionellen Merkmale" aufweise. Eine Kirche in einem
ehemaligen KZ in einem überwiegend evangelischen Land (wie
Bergen-Belsen/Niedersachsen) liege näher. Erst nachdem der
niedersächsische Innenminster dem Kirchenrat im Februar 1963
mitteilte, wegen der jüdischen Auffassung von Totenruhe hätten
jüdische Gruppen um die Unterlassung jeglicher Bautätigkeit
in Bergen-Belsen gebeten, wurde Dachau als Standort gewählt.
Im Juli 1964 wurde der Entwurf Helmut
Strifflers zur Ausführung bestimmt; im Mai 1965 fand die
eigentliche Grundsteinlegung statt. Während der darauffolgenden
zweijährigen Bauzeit wurden harte Verhandlungen geführt,
weil Weihbischof Neuhäuslers Vorstellungen von der Gesamtheit
der Gedenkanlage scharf von denen der anderen Beteiligten (CID,
EKD, Landesverband) abwichen. Neuhäusler wollte das Lagergelände
als Ehrenhain mit Baumbepflanzung gestalten, während die
anderen jegliche Begrünung ablehnten. Da keine Einigung erzielt
werden konnte, wurde schließlich auf die Einheitlichkeit
der religiösen Gedenkanlage verzichtet. Die Eichen um die
Todesangst-Christi-Kapelle wurden belassen, die Sträucher
entfernt, und der Rasen auf ein Kreisrund reduziert.
Im Jahr 1966 waren die Gedenkveranstaltung
stärker denn je von dem aufkommenden Neonazismus in der Bundesrepublik
überschattet. Gleich zu Jahresanfang bot die "Deutsche
National-Zeitung und Soldaten-Zeitung" auf mit einem mehrseitigen
Leitartikel unter der Schlagzeile "Gaskammer-Schwindel aufgedeckt
... Wie war es wirklich in Dachau?". Ende des Monats warfen
Dachauer Gymnasiasten einer Gruppe von Bauhelfern der "Aktion
Sühnezeichen", die in der Gedenkstätte gearbeitet
hatten, vor, sie würden: "unnötig in der Vergangenheit
... wühlen". Schon im Sommer 1965 hatte der ehemalige
Häftling Alfred Haag in der ARD-Sendung "Monitor"
den Anstieg rechtsradikaler Vorfälle in Dachau konstatiert.
Bei der Befreiungsfeier am 8. Mai 1966 machte der ehemalige Häftlingslagerälteste
Oskar Müller die ca. 800 TeilnehmerInnen auf eine geplante
Veranstaltung des SS-Veteranenverbands "HIAG" am 21.
Mai im Bürgerbräukeller aufmerksam, und BJR-Präsident
Hermann Kumpfmüller ging auf die jüngsten Erfolge der
NPD ein. Zu der Verlegenheit Minister Hundhammers, der privat
an der Feier teilnahm, `vergaß' die Staatsregierung, einen
Kranz niederlegen zu lassen. Vor den Landtagswahlen Mitte November
wurden NPD-Plakate an der Zufahrtsstraße zur Gedenkstätte
aufgehängt, und die NPD wurde in die Parlamente von Hessen
und Bayern gewählt. Am Wochenende nach der Wahl wurde der
jüdische Gedenkstein auf dem Waldfriedhof beschmiert.
Das Jahr 1967 war von einem ähnlichen
Gegensatz zwischen Verfolgtengedenken und Neonazismus gezeichnet
wie 1960 und 1966. Einen Tag nachdem die evangelische Kapelle
am 1. Mai 1967 eingeweiht wurde, wurde der jüdische Gedenkstein
auf der Leiten beschmiert. Am 5. Mai hielt Kuratoriumsvorsitzender
Minister Hundhammer eine Pressekonferenz, auf der er die Aktivitäten
der NPD verurteilte. In den Ansprachen bei der Einweihung der
jüdischen Gedenkstätte am 7. Mai, an dem der israelische
Botschafter Ascher Ben-Natan teilnahm, wurde mehrfach das Klima
erwähnt, in dem "Frevler wieder versuchen können,
ihr Haupt zu erheben". Nach der Feier zogen die ca. 1000
TeilnehmerInnen in einem Schweigemarsch zum Appellplatz, wo eine
Urne mit Asche eines unbekannten KZ-Häftlings beigesetzt
wurde.
Das Jahr 1968 stand im Zeichen der
Einweihung des Mahnmals auf dem Appellplatz. Bis auf den Tag genau
zwölf Jahre waren seit der symbolischen Grundsteinlegung
vergangen, bevor es im September 1968 eingeweiht werden konnte.
Schon im November 1959 hatte das CID einen Entwurf des jugoslavischen
Bildhauers Glid Nandor zur Ausführung bestimmt. Im August
1965 wurde dieser Beschluß bestätigt und eine Sammlung
begonnen, um die Kosten des Denkmals aufzubringen. Bei Bauginn
im Herbst 1967 waren etwa zwei Drittel der Kosten von 1,2 Millionen
DM durch Spenden gedeckt, darunter 300.000 DM von der Bundesregierung.
Bei der Einweihung am 8. September
1968 traten viele der 1955/56 überwundenen Differenzen innerhalb
des CID zwischen den (ehemaligen) Kommunisten und den Häftlingen,
die nach dem Krieg in hohe Positionen in NATO-Staaten aufgestiegen
waren, wieder auf. Die belgischen und französischen Nationalkomitees,
die schon immer die Führung im CID innegehabt hatten, planten
eine Prominentenveranstaltung mit Beteiligung von Militärformationen.
Die Planungen wurden ohne das Wissen der bundesdeutschen Lagergemeinschaft
gemacht, der die Vorbereitungen vor Ort oblag. Da die Belgier
und Franzosen drohten, sich überhaupt nicht zu beteiligen,
wenn ihre Armeen nicht auftreten dürften, willigte Kohlhofer
als Repräsentant der Lagergemeinschaft ein. Es scheint, daß
er jedoch keinen besonderen Eifer für die Militär-bezogenen
Vorbereitungsarbeiten entwickelte, denn kurz vor der Feier arbeiteten
Komiteepräsident und -sekretär Guerisse und Walraeve
fieberhaft, um z.B. die Ehrentribünen errichtet zu bekommen.
Vor 5000 ZuschauerInnen marschierten
Ehrenkompanien der französichen, US-amerikanischen und belgischen
Armeen und der britischen Luftwaffe ein. Die Veranstaltung wurde
überflogen von Düsenflugzeugen der Amerikaner und Holländer.
Während des Einmarsches ging eine Gruppe von 25-40 jugendlichen
Demonstranten auf das Rednerpult zu. Sprechchöre prangerten
die Militärbeteiligung an der Gedenkveranstaltung und die
gewalttätige Repression der außerparlamentarischen
Opposition in der Bundesrepublik an. Auf einem Transparent stand
mißverständlich: "Dachau grüßt Hitlers
Erben" - gemeint war insbesondere der Berliner Bürgermeister
Schütz, der als Vertreter des Bundespräsidenten eine
Rede hielt. Er war letztlich für die Übergriffe der
Polizei in Berlin verantwortlich gewesen. Obwohl der Protest einhellig
als fehl am Platz bezeichnet wurde, stimmten viele ehemalige deutsche
Häftlinge den Protestierenden zu: sie mißbilligten
ebenfalls den "NATO-Aufmarsch" und äußerten
öffentlich ihre Verbitterung über das "`KZ-Erinnerungs-Establishment'".
Nach dieser Veranstaltung verlagerten
führende Mitglieder der bundesdeutschen Lagergemeinschaft
ihre Tätigkeit von der Mitarbeit an Vorhaben des CID auf
die Weitervermittlung ihrer KZ-Erfahrungen an die jungen Generationen,
die ein ständig steigendes Interesse an die Geschichte des
Nationalsozialismus zeigten. In den folgenden Jahrzehnten blieb
das Verhältnis zwischen den Befürwörtern der Gedenkstätte
als Bildungseinrichtung und staatlichen Stellen weiterhin sehr
antagonistisch. |